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Glaube, Hoffnung und Liebe – Bischofs - Canisianum

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Bischof Erwin Kräutler<br />

Das amazonische Gesicht Christi <strong>–</strong><br />

Erfahrungen eines brasilianischen <strong>Bischofs</strong><br />

Bischof Erwin Kräutler<br />

Im Jahr 1954 hatte das Katholische Bildungswerk<br />

Vorarlberg zu einem Vortrag von meinem Onkel,<br />

Pater Erich Kräutler, eingeladen. Ich besuchte<br />

damals die 4. Klasse Gymnasium <strong>und</strong> ein Plakat<br />

am Anschlagbrett im Treppenhaus der Schule<br />

beeindruckte die Schüler. „Zwanzig Jahre in der<br />

Grünen Hölle am Amazonas“ hieß der Titel, in<br />

dicken Balkenlettern gedruckt. Mitte des vergangenen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts gehörte ein Fernsehapparat<br />

noch nicht zu den unverzichtbaren Einrichtungsgegenständen<br />

eines Haushaltes. Ein Lichtbildervortrag<br />

über ferne Länder <strong>und</strong> fremde Völker<br />

konnte deshalb noch mit einer großen Besucherzahl<br />

rechnen. Mein Onkel freute sich über den zum<br />

Bersten vollen Arbeiterkammersaal in Feldkirch<br />

<strong>und</strong> war hellauf begeistert, endlich seinen Landsleuten<br />

über seine schon zwanzigjährige Tätigkeit<br />

am Xingu, einem der größen rechtsseitigen<br />

Nebenflüsse des Amazonas, berichten zu können.<br />

Pater Erich zeigte zunächst Lichtbilder der para-<br />

Vortrag zum Herz-Jesu-Fest 2003<br />

diesischen Schönheit einer Welt von Wald <strong>und</strong><br />

Wasser. Die unendlichen Wälder waren noch die<br />

„ewige“, unberührte, jungfräuliche Heimat einer<br />

ungeahnten Vielzahl von Pflanzen <strong>und</strong> Tieren, aber<br />

auch der Indianervölker. Die herrlichen Sonnenauf-<br />

<strong>und</strong> -untergänge in der Flusslandschaft, die<br />

mein Onkel in Farbdias festhielt, erregten immer<br />

wieder ein entzücktes geräuschvolles Staunen im<br />

Saal.<br />

„Warum aber heißt diese exotische, traumhafte,<br />

idyllische Landschaft, dieser letzte Rest Paradies<br />

‚grüne Hölle‘?“, fragte ich mich damals.<br />

Ich wiederhole diese Frage <strong>und</strong> beantworte sie aus<br />

heutiger Sicht. Ja, „grün“ ist diese Welt vorläufig<br />

noch. In einem Kleinflugzeug, in etwa tausend<br />

Metern Höhe, hat man den Eindruck, über ein endloses,<br />

eintöniges Brokkolifeld zu fliegen, das sich,<br />

wie das Meer, am Horizont verliert. „Grün“ ist<br />

diese Welt noch, so lange der Urwald nicht total<br />

der Brandrodung <strong>und</strong> rücksichtslosen Abholzung<br />

zum Opfer gefallen ist <strong>und</strong> an die Stelle des in drei<br />

Baumstockwerke gegliederten Dickichts mit bis zu<br />

70 Meter hohen Baumriesen eine Art von afrikanischem<br />

Steppengras tritt, das genügsame Zeburinder<br />

abweiden, ehe sie als Materia Prima für<br />

Hotdogs nach Nordamerika, Europa <strong>und</strong> Japan<br />

verschifft werden. Ist diese Welt aber eine<br />

„Hölle“? Warum werden die von Fremdenverkehrsagenturen<br />

angebotenen Ausflüge in den<br />

Dschungel zu Exkursionen in die „grüne Hölle“?<br />

Selbst Nachtclubs <strong>und</strong> Diskotheken in den<br />

Breitengraden von Amazonien borgen sich diesen<br />

Namen, um erlebnishungrige Touristen zu ködern.<br />

Warum „Hölle“? Ist es der Myriaden von Insekten<br />

wegen, von denen in bestimmten Regionen einige<br />

Arten den Menschen das Leben tatsächlich zur<br />

Hölle machen können? Denken wir nur an die<br />

Anopheles, die die Malaria überträgt, oder die<br />

Stegomya fasciata, der wir das Gelbfieber verdanken.<br />

In diesem Zusammenhang kann man tatsächlich<br />

Goethe zitieren: „Es wandelt niemand ungestraft<br />

unter Palmen.“ 1 Er meinte dabei zwar nicht<br />

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