Glaube, Hoffnung und Liebe – Bischofs - Canisianum
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ger dunkle Hautfarbe. Die Gesichtszüge <strong>und</strong> tiefschwarzen<br />
langen Haare bewiesen bei vielen die<br />
indigene Abstammung. Jetzt plötzlich sind in einer<br />
Schulklasse alle Rassen <strong>und</strong> Hautschattierungen zu<br />
finden. Neben einem kaffeebraunen Mädchen mit<br />
großen schwarzen Augen sitzt eine Blondine mit<br />
Sommersprossen im Gesicht <strong>und</strong> in der nächsten<br />
Bank wieder ein kohlschwarzer Bub, der seine<br />
weißen Zähne blitzen lässt. Städte <strong>und</strong> Dörfer verdoppeln<br />
<strong>und</strong> verdreifachen ihre Einwohnerzahl in<br />
wenigen Jahren.<br />
Mit dem „Programm der Nationalen Integration“<br />
versuchte die staatliche Behörde für Kolonisation<br />
<strong>und</strong> Agrarreform (INCRA) Familien aus dem dürregeplagten<br />
Nordosten an dem 64.000 km 2 großen<br />
Streifen der Transamazônica anzusiedeln. Die 10<br />
Kilometer beiderseits der Straße waren für landwirtschaftliche<br />
Familienbetriebe von etwa 100 ha<br />
bestimmt. Die Hälfte des Besitzes hatte als Waldreserve<br />
intakt zu bleiben. Hinter diesem Kleingr<strong>und</strong>besitz<br />
waren Mittelbetriebe von bis zu 3000<br />
ha, bis in eine Entfernung von 100 km zur Straße,<br />
vorgesehen. Auch hier galt die 50-%-Klausel. Erst<br />
dann, in einem Abstand von mehr als 100 km zur<br />
Straße, konnten sich private Großprojekte der Rinderzucht<br />
<strong>und</strong> Forstwirtschaft von bis zu 50.000 ha<br />
niederlassen. Auch hier waren die 50 % Waldreserve<br />
verpflichtend. Die 50 %-Klausel wurde nur<br />
in den ersten Jahren mehr oder weniger ernst<br />
genommen. Heute sind die 64.000 km 2 alle längst<br />
abgeholzt oder abgebrannt. Und es ist nicht dabei<br />
geblieben. Tausende von km 2 kamen dazu. Immer<br />
mehr Urwald wurde in Weideflächen verwandelt.<br />
Das Traurige an dieser Geschichte ist, dass dieses<br />
Programm der Nationalen Integration sich schön<br />
langsam als ein Fehlschlag erwies. Die Neuankömmlinge<br />
hatten nur mangelhafte landwirtschaftliche<br />
Kenntnisse <strong>und</strong> erhielten auch kaum eine<br />
fachgerechte Beratung durch Agronomen. Die<br />
Bodenbeschaffenheit <strong>und</strong> Fruchtbarkeit wurde<br />
falsch eingeschätzt. Das vom Staat gelieferte<br />
Saatgut erwies sich als für Amazonien ungeeignet.<br />
Missernten waren die Folge. Die miserablen<br />
Verhältnisse der Nebenstraßen verhinderten die<br />
Vermarktung der landwirtschaftlichen Produkte.<br />
Dazu kamen Tropenkrankheiten wie Malaria <strong>und</strong><br />
Amöbenruhr.<br />
Ende der Siebziger <strong>und</strong> Anfang der Achtzigerjahre<br />
beginnt die „Erschließung“ weiter Teile des<br />
Südens meines Bistums. Völlig unkontrolliert<br />
dringen Landsuchende aus allen Teilen Brasiliens<br />
auch in diese Region. Neue Gemeinden entstehen,<br />
wo bislang noch keines Menschen Fuß getreten<br />
war. In Kürze steigt die Bevölkerungszahl einer<br />
jeden dieser Gemeinden auf über 30.000. Der<br />
Großgr<strong>und</strong>besitz breitet sich rasant aus. H<strong>und</strong>erte<br />
von Kilometern weit gibt es keinen Wald mehr.<br />
Seit einem Jahrzehnt haben auch in dieser Gegend<br />
kahle Hügel <strong>und</strong> trostloses Grasland den Regenwald<br />
ersetzt.<br />
Neben den zahlreichen Rinderfarmen, oft auch von<br />
ausländischen Kapitalanlegern gegründet, breiten<br />
sich auch große Bergbauunternehmen aus, die die<br />
Rohstoffe von Amazonien systematisch abbauen.<br />
Es kommt zu Landkonflikten zwischen neuen<br />
Großgr<strong>und</strong>besitzern <strong>und</strong> alten Siedlern, wobei<br />
natürlich der Schwächere unterliegt. Oft werden<br />
die kleinen Siedler von Großgr<strong>und</strong>besitzern mit<br />
Waffengewalt vertrieben. „Nichts Neues unter der<br />
Sonne!“ (Koh 1,9). Schon der Prophet Micha wetterte<br />
gegen die Habsucht der Reichen: „Sie wollen<br />
Felder haben <strong>und</strong> reißen sie an sich (...). Sie wenden<br />
Gewalt an gegen den Mann <strong>und</strong> sein Haus,<br />
gegen den Besitzer <strong>und</strong> sein Eigentum“ (Mi 2,2).<br />
„Sie fressen mein Volk auf, sie ziehen den Leuten<br />
die Haut ab <strong>und</strong> zerbrechen ihnen die Knochen“<br />
(Mi 3,3). Auch staatliche Stellen sind mitschuldig<br />
an den Landkonflikten. Gr<strong>und</strong>bücherliche Eintragungen<br />
werden gefälscht. Würden alle Vermerke<br />
im Gr<strong>und</strong>buch legale Eigentümer ausweisen,<br />
müsste beispielsweise der B<strong>und</strong>esstaat Acre<br />
zweistöckig sein. Neben der direkten Vertreibung<br />
gibt es auch indirekte Verdrängungsprozesse.<br />
Missernten, Krankheiten oder eben mangelnde<br />
Kenntnisse der Bodenbeschaffenheit stürzen viele<br />
in Schulden. Weil sie mit zu vielen Problemen zu<br />
kämpfen haben, sehen sich gar manche gezwungen,<br />
Teile oder das gesamte Land um einen<br />
Bananenpreis zu verkaufen. Die Abwanderung aus<br />
den ländlichen Gebieten lässt die Randbezirke der<br />
Städte wie Geschwülste anschwellen. Die Großgr<strong>und</strong>besitzer<br />
profitieren von den Schulden der<br />
verzweifelten Siedler. Längst blickten sie mit<br />
Argusaugen auf die bereits urbar gemachten<br />
Landflächen <strong>und</strong> heimsen sie nun billigst ein. Die<br />
enorme Landkonzentration in ihren Händen macht<br />
sie zu Mega- oder Super-Großgr<strong>und</strong>besitzern.<br />
So entstand in Brasilien seit ein paar Jahrzehnten<br />
eine eigene Kategorie verarmter Familien, die so<br />
genannten Bauern ohne Land. Es sind dies inzwischen<br />
Millionen von Menschen, die nach Gr<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Boden suchen <strong>und</strong> manchmal auch die eine<br />
oder andere Fazenda besetzen. Immer wieder<br />
kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen zwi-<br />
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