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Glaube, Hoffnung und Liebe – Bischofs - Canisianum

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nierende Aufgabe, dieses vereinte Europa als<br />

Kultur- <strong>und</strong> Wertegemeinschaft zu verwirklichen.<br />

Eine der Kernfragen ist dabei, ob Europa mehr ist<br />

als ein geographischer Begriff. In der Diskussion<br />

über die mögliche Mitgliedschaft der Türkei ist<br />

diese Frage ein zentrales Thema.<br />

Die Europäische Union hat in den vergangenen<br />

Jahren viel getan, um ihre Werteordnung zu vertiefen<br />

<strong>und</strong> zu etablieren. Dazu gehört die Verankerung<br />

von allgemeinen Prinzipien, wie bereits<br />

vorher erwähnt wurde, vor allem aber auch die<br />

Akzeptanz einer Gr<strong>und</strong>rechtscharta, die erstmals<br />

einen Katalog der Freiheitsrechte <strong>und</strong> der sozialen<br />

Gr<strong>und</strong>rechte enthält. Die Suprema Lex dieses<br />

Dokumentes ist die im Artikel 1 verankerte Würde<br />

des Menschen: „Die Würde des Menschen ist<br />

unantastbar. Sie ist zu achten <strong>und</strong> zu schützen.“<br />

Allerdings ist die europäische Werteordnung noch<br />

ein Netz mit vielen Löchern. In entscheidenden<br />

Fragen, wie etwa wann das menschliche Leben<br />

beginnt <strong>und</strong> wann es endet oder welcher Begriff<br />

der Familie <strong>und</strong> der Ehe anzuwenden ist, gibt es<br />

keine allgemeine Akzeptanz unter den Mitgliedsstaaten.<br />

Die Vermittlung des geistig-kulturellen Erbes<br />

Europas ist weltweit ein stärker werdender Prozess<br />

einer kulturellen Verflechtung. Die Frage, was<br />

durch eine europäische Kultur vermittelt werden<br />

kann, wird zum Kernthema. Die westliche Geistesart<br />

wurzelt in der jüdisch-christlichen Überlieferung<br />

des europäischen Kontinents. Sie ist bestimmt<br />

durch Christentum <strong>und</strong> Kapitalismus sowie<br />

durch Naturwissenschaft <strong>und</strong> Technik, durch das<br />

Rechtssystem des römischen Rechts <strong>und</strong> des Code<br />

Napoleons, durch bürgerlich urbane Lebensformen,<br />

durch Demokratie <strong>und</strong> Menschenrechte <strong>und</strong><br />

schließlich durch die Säkularisierung von Staat<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft. Alles das ist zu reflektieren,<br />

wenn man von der europäischen Identität als dem<br />

spricht, was Europa unverwechselbar macht.<br />

Identität wurzelt in Historischem; in sich ständig<br />

Verwandelndem. Europa ist in seiner Geschichte<br />

ein Kontinent des Mittelalters ebenso wie des<br />

Humanismus <strong>und</strong> der Aufklärung sowie der<br />

Kolonialisten. Es war nie eine abgeschlossene<br />

Einheit, kein Ganzes, sondern ein Erdteil mit vielen<br />

Unterschieden, Brücken <strong>und</strong> Differenzen. Es<br />

eignet sich, in einer Art „Patchwork“-Identität dar-<br />

26<br />

gestellt zu werden, nämlich als Versuch, aus vielen<br />

auch sehr heterogenen Einzelteilen etwas weder<br />

Vollkommenes noch Abgeschlossenes zu machen,<br />

jedoch etwas, das dennoch eine halbwegs tragfähige<br />

Gr<strong>und</strong>lage für soziales Handeln sein kann.<br />

Chancen für eine Kultur der Menschlichkeit.<br />

Der an der katholisch-theologischen Fakultät der<br />

Universität Salzburg lehrende Clemens Sedmak<br />

hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass Europas<br />

Chance im Aufbau einer Kultur der Menschlichkeit<br />

liege, 7 dafür gebe es drei Indikatoren:<br />

1. Die Existenz von Bausteinen von Gr<strong>und</strong>überzeugungen,<br />

die in der jüdisch-christlichen <strong>und</strong><br />

der philosophischen Tradition, der Rechtstradition<br />

sowie der Tradition der Menschenrechte<br />

begründet sind <strong>und</strong> die eine Kultur der<br />

Menschlichkeit als Wert <strong>und</strong> Chance erkennen<br />

lassen.<br />

2. Eine weitere Chance liege in der nachhaltigen<br />

Differenzierung, die zu einem Teppich von<br />

regionalen Minoritäten <strong>und</strong> politischen<br />

Pluralismen führe, wodurch der Schutz der<br />

Vielfalt <strong>und</strong> Minoritäten notwendig werde.<br />

3. Die dritte Chance liege in einem starken<br />

„Mittelstand“, der ein „Frei sein“ <strong>und</strong> „Frei<br />

sein für“ ermögliche: Der Mittelstand sei nämlich<br />

nicht mit der Sicherung seines Reichtums<br />

beschäftigt, wie dies bei den sehr reichen<br />

Menschen der Fall sei, er sei aber auch nicht so<br />

arm, dass er um sein Leben kämpfe müsse.<br />

Dieser Hinweis auf die Rolle des Mittelstandes<br />

erinnert mich an einen Vortrag, den vor vielen<br />

Jahren der damalige Dekan der Gregoriana,<br />

Pater Schasching, in Wien gehalten hat: Er vertrat<br />

damals die Auffassung, dass Italien, das in<br />

den letzten Jahrzehnten durch viele Regierungskrisen<br />

gegangen ist, nur deshalb bestehen<br />

konnte, weil der Mittelstand „funktionierte“.<br />

Dieses eben beschriebene Konzept ist kein operatives<br />

Programm, es bedeutet aber das Aktivieren<br />

von geistig-kulturellen Kräften, die Europa in<br />

einer multikulturellen Weltordnung ein Profil vermitteln<br />

können, das respektiert wird <strong>und</strong> Wirkung<br />

zeigt. Europa ist keine Festung, die sich permanent<br />

gegen Einflüsse von außen zu verteidigen hat, es<br />

ist vielmehr ein weltoffener Kontinent mit starker<br />

Überzeugungskraft.

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