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Glaube, Hoffnung und Liebe – Bischofs - Canisianum

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Girard, René:<br />

Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen<br />

Blitz. Eine kritische Apologie des Christentums.<br />

Mit einem Nachwort von Peter Sloterdijk. Aus dem<br />

Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruh.<br />

Carl-Hanser-Verlag, München-Wien 2002.<br />

ISBN 3-446-20230-7, 254 Seiten.<br />

In dieser deutschen<br />

Ausgabe des 1999<br />

erschienenen Werks Je<br />

vois Satan tomber<br />

comme l’éclair stellt<br />

Girard seinen Ansatz,<br />

der sich mit dem<br />

Phänomen des „mimetischen<br />

Zyklus“ <strong>und</strong><br />

seinen religiös-kulturell-gesellschaftlichen<br />

Konsequenzen auseinandersetzt,<br />

auf kompakte<br />

Weise dar, mehr<br />

noch: Die Einsicht in die Opfer- <strong>und</strong> Gewaltmechanismen<br />

<strong>–</strong> so der Anspruch des Buches <strong>–</strong><br />

führt zu einer besseren Kenntnis des Anspruchs<br />

des Christentums.<br />

Girard ordnet seine Analyse, die er in vierzehn<br />

Kapiteln vorlegt, „in die Anthropologie des<br />

Religiösen <strong>und</strong> nicht in die Theologie“ (13) ein; er<br />

will <strong>–</strong> so weit es geht <strong>–</strong> auf der Ebene einer „neutestamentlichen<br />

Anthropologie“ argumentieren,<br />

„ohne dabei die Realität des christlichen Gottes<br />

vorauszusetzen“ (239). Was sind nun die wichtigsten<br />

Elemente der Theorie von René Girard? Die<br />

Gewalt, die unter Menschen ausgeübt wird, ist das<br />

Ergebnis einer Dynamik der Rivalität, die Girard<br />

das „mimetische Begehren“ (24) nennt. Diese<br />

Mimesis bildet einen Zyklus mit einer dreistufigen<br />

Sequenz: 1. Die Anhäufung von konfliktiven Rivalitäten<br />

<strong>und</strong> Ärgernissen führt zu einer Krise in der<br />

menschlichen Gemeinschaft. 2. Aufgr<strong>und</strong> der Unfähigkeit,<br />

der Ansteckung durch diese Aufschaukelung<br />

der Gewalt zu entgehen, kommt es zu einer<br />

kollektiven Gewalttat, bei der sich das „Allegegen-Alle“<br />

in ein „Alle-gegen-Einen“ (38) verwandelt;<br />

die Ausstoßung <strong>und</strong> Vernichtung des<br />

Opfers hat die <strong>–</strong> auf den ersten Blick paradoxe <strong>–</strong><br />

Rezensionen<br />

Konsequenz, „in einer noch kurz zuvor verstörten<br />

<strong>und</strong> scheinbar durch nichts zu beruhigenden<br />

Gemeinschaft die Ruhe wiederherstellen zu können“<br />

(55). 3. Schließlich kommt es zu einer<br />

religiösen Epiphanie, bei der das Opfer (der<br />

„Sündenbock“) ins Positive, ja Göttliche verwandelt<br />

wird <strong>und</strong> sogar dem „Wiederaufbau der<br />

Lebenswelt“ (96) dient, die er kurz zuvor <strong>–</strong> als<br />

„Übeltäter“ <strong>–</strong> angeblich noch radikal bedroht hatte.<br />

Die These dieses Buches besteht zum einen in der<br />

Überzeugung, dass die biblischen Texte im Allgemeinen<br />

<strong>und</strong> die Berichte über die Passion Jesu im<br />

Besonderen diesen (anthropologisch universalen)<br />

Opfermechanismus beschreiben, der die Menschheitsgeschichte<br />

von Anfang an in der Form eines<br />

mimetischen Zyklus prägt, ja sogar die menschliche<br />

Kultur begründet („Mord <strong>und</strong> Ursprung sind<br />

identisch“ [114]). Zum anderen zeigt sich eine f<strong>und</strong>amentale<br />

Differenz: Während mythische Texte<br />

den mimetischen Gewaltmechanismus verschleiern<br />

<strong>und</strong> die Verfolgung der Opfer rechtfertigen,<br />

decken die biblischen Texte <strong>–</strong> vor allem die<br />

Passionserzählungen <strong>–</strong> diese Struktur kollektiver<br />

Gewalt auf. Mythen sind vom „Illusionsprinzip“<br />

(184) des Opfermechanismus beherrscht; die Bibel<br />

hingegen legt die verborgene Struktur von<br />

Ausstoßung <strong>und</strong> Verklärung des „Sündenbocks“<br />

offen. Auf diesem Hintergr<strong>und</strong> erklärt sich auch<br />

die Bedeutung von „Satan“: Er ist das „Subjekt<br />

der Strukturen der mimetischen Gewalt“ (239; vgl.<br />

auch 62, 93,188), dessen Macht im Neuen<br />

Testament aufgedeckt <strong>und</strong> <strong>–</strong> im Bild eines gewaltigen<br />

Sturzes (Lk 10,18) <strong>–</strong> beendet wird.<br />

Die Einzigartigkeit der jüdisch-christlichen <strong>Glaube</strong>nsüberlieferung<br />

sieht Girard in der revolutionären<br />

Fähigkeit, die mythische Einmütigkeit in der<br />

Verschleierung von Gewalt aufzusprengen: „Die<br />

Umkehrung des Verhältnisses von Unschuld <strong>und</strong><br />

Schuld zwischen Opfern <strong>und</strong> Henkern ist der<br />

Eckstein der biblischen Inspiration“ (152). Auch<br />

wenn das Christentum lange Zeit „von ‚opferkultischen‘<br />

Überresten kontaminiert wurde“ (223), ist<br />

es Träger einer unvergleichlich wertvollen Überzeugung:<br />

„Die Evangelien selbst lenken unsere<br />

Aufmerksamkeit darauf, dass überall dort, wo<br />

Jesus eingreift, die mythische Einmütigkeit verlorengeht“<br />

(192).<br />

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