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SOCIETY 370 / 2016

WIRTSCHAFT - POLITIK - DIPLOMATIE - WISSENSCHAFT - KULTUR - LEUTE

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DIPLOMATIE<br />

UNGARN<br />

Herr Botschafter, Sie leisten derzeit<br />

schon Ihren zweiten Außendienst<br />

in Wien. Wie könnten<br />

Sie diese beiden Dienstzeiten<br />

vergleichen?<br />

Ich denke, es ist immer eine<br />

besondere Ehre und Herausforderung für einen<br />

ungarischen Diplomaten, in Österreich tätig zu<br />

sein. Unsere Länder verbindet eine gemeinsame<br />

Geschichte von einigen Jahrhunderten, und die<br />

bilaterale Kooperation ist nach wie vor äußerst<br />

vielfältig und intensiv. Selbst mein Büro und<br />

das Botschaftsgebäude erinnern stets an diese<br />

geschichtliche Erbschaft und mahnen an unsere<br />

Verantwortung, diese einzigartige Verbindung<br />

weiter zu vertiefen.<br />

Das vorige Jahr könnte man trotzdem als<br />

Tiefpunkt in dieser Beziehung bezeichnen. Was<br />

können Sie persönlich zu einer Verbesserung<br />

beitragen?<br />

Die extreme Belastung durch die Migrationswelle,<br />

die dadurch aufgeheizten Emotionen und<br />

gewisse unglückliche verbale Äußerungen haben<br />

vor einem guten Jahr die Zusammenarbeit<br />

tatsächlich beeinträchtigt. Trotzdem haben wir,<br />

von ungarischer Seite aus, in dieser heiklen Phase<br />

alles getan, den ständigen Dialog aufrechtzuerhalten<br />

– nicht zuletzt mit dem Ziel, unseren<br />

Standpunkt zu erklären. Budapest hat nämlich<br />

von Anfang an eine konsequente Linie verfolgt:<br />

Wir sollen unsere eigenen europäischen Regelungen<br />

einhalten, wir sollen unsere Grenzen schützen<br />

können, um dadurch diese beispiellos große<br />

Völkerwanderung in den Griff zu bekommen.<br />

Mittlerweile betont auch Herr Bundeskanzler<br />

Kern selbst die Übereinstimmungen zwischen<br />

den ungarischen und österreichischen Positionen.<br />

Die zuständigen Minister und ihr jeweiliger<br />

Stab führen beinahe wöchentlich konstruktive<br />

Gespräche über die möglichen gemeinsamen Lösungen.<br />

Auch die österreichische Polizei und das<br />

Bundesheer leisten an der ungarisch-serbischen<br />

Grenze einen wichtigen Beitrag zum Schutz der<br />

Schengen-Zone.<br />

»Unsere Länder<br />

verbindet eine<br />

Geschichte von<br />

einigen Jahrhunderten.<br />

«<br />

János<br />

Perényi<br />

CURRICULUM<br />

VITAE<br />

Dr. János Perényi wurde<br />

1949 in Budapest geboren.<br />

Er studierte von 1969 bis<br />

1972 Geschichte, Englisch<br />

und Französisch an der<br />

Universität Uppsala. Von<br />

1973 bis 1978 absolvierte er<br />

an der Universität Uppsala<br />

ein postgraduales Studium.<br />

1979 erlangte er den<br />

Doktortitel. In den Jahren<br />

1990 bis 1992 war er bereits<br />

Botschaftsrat an der<br />

Botschaft von Ungarn in<br />

Wien. 1992 bis 1996 sowie<br />

1998 bis 2002 war er als<br />

Botschafter der ständigen<br />

Vertretung Ungarns beim<br />

Europarat in Straßburg<br />

tätig. Von 2008 bis 2009<br />

war er nationaler Koordinator<br />

für die Allianz der Zivilisationen<br />

im ungarischen<br />

Außenministerium, und von<br />

2009 bis 2011 hatte er die<br />

Position des Botschaftsrats<br />

an der Botschaft von<br />

Ungarn in Paris inne. In den<br />

Jahren 2011 bis 2014 war<br />

er Botschafter von Ungarn<br />

in Marokko. Seit Dezember<br />

2014 ist er außerordentlicher<br />

und bevollmächtigter<br />

Botschafter von Ungarn<br />

in Wien. und Ständiger<br />

Vertreter bei den Vereinten<br />

Nationen in Wien.<br />

S.E. Botschafter János Perényi mit Gattin und<br />

Gerti Tauchhammer<br />

Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die<br />

vorhergegangenen Debatten die Beziehung der<br />

beiden Länder längerfristig überschatten könnten?<br />

Nein, diesbezüglich hatte ich nicht einmal<br />

im September 2015 Angst. Schon damals haben<br />

wir etwa 1000 E-Mails und Briefe von Ihren Mitbürgern<br />

mit spontanen Sympathiebekundungen<br />

erhalten, in denen sie sich für die Aufrechterhaltung<br />

der guten Zusammenarbeit unserer Länder<br />

ausgesprochen haben. Für mich gelten diese langjährige<br />

Freundschaft und der Zusammenhalt von<br />

Ungarn und Österreichern als die sicherste und<br />

wichtigste Stütze für unsere Beziehungen. Und<br />

trotz der massiven Anwesenheit der Migrationsproblematik<br />

darf man nicht vergessen, dass die<br />

bilaterale Kooperation in vielen anderen Bereichen<br />

nach wie vor mit großer Intensität läuft: Österreich<br />

ist der zweitgrößte Handelspartner und<br />

der viertgrößte Investor für uns, und wir arbeiten<br />

stets daran, diese Aktivitäten weiter auszubauen.<br />

Die Bereitschaft hierfür sehe ich auf beiden<br />

Seiten – neulich berichteten schon die hiesigen<br />

Banken positiv über die dementsprechenden Ergebnisse<br />

in Ungarn.<br />

Jüngst konnte man sehr kontroverse Meinungen<br />

über die Visegrád-Staaten hören. Wie sehen<br />

Sie die aktuelle und künftige Rolle dieser Gruppe<br />

– z.B. innerhalb der EU?<br />

In der Tat habe auch ich zu diesem Thema<br />

leider ganz falsche Interpretationen gefunden –<br />

etwa über einen „neuen Ostblock“. Wobei man<br />

sehen sollte, dass diese vier Staaten schon seit<br />

mehreren Jahren über eine konstruktive und<br />

durchaus erfolgreiche Zusammenarbeit in mehreren<br />

Bereichen – Energie, Infrastruktur oder<br />

Kultur – verfügen. Und diese Einstellung prägt<br />

auch unser gemeinsames Auftreten auf europäischer<br />

Ebene: koordiniert und einheitlich, aber<br />

keinesfalls blockierend. Dementsprechend bringen<br />

wir unsere Ideen für die ganze EU ein – sei<br />

es das immer stärker begrüßte Konzept der „flexiblen<br />

Solidarität“ in der Migrationsfrage oder<br />

der Vorschlag für eine neue, verstärkte Sicherheitspolitik.<br />

Nicht zuletzt möchte ich auf die<br />

Wirtschaftsdynamik unserer Region (weit über<br />

dem EU-Durchschnitt) hinweisen – womit wir<br />

ebenfalls zur Stärkung der Union beitragen. Und<br />

ich finde es äußerst erfreulich, dass sich jüngst<br />

auch die Koalitionsparteien klar für eine engere<br />

Kooperation mit Visegrad-4 aussprechen – unsererseits<br />

sind wir hierfür jederzeit bereit. •<br />

<strong>SOCIETY</strong> 2_<strong>2016</strong> | 33

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