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TB 1 - Landesfilmdienst Nordrhein-Westfalen eV

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DIE KULTURELLE ENTWICKLUNG DER KOLONIEN<br />

NEURUSSLANDS IM 19. JHDT – BS 6<br />

Kirche und Schule<br />

Für viele Kolonisten war die Einwanderung nach Russland erst durch die Zusage der Religionsfreiheit erstrebenswert<br />

gewesen. Bei den Mennoniten und Separatisten aus Südwestdeutschland war dies sogar der Ausschlag gebende<br />

Grund. Die ersten Geistlichen, ein lutherischer und ein calvinistischer Pastor sowie ein katholischer Pater und je ein<br />

Küster, wurden auf Beschluss der russischen Regierung vom 3. November 1763 in die Wolgakolonien entsandt. Ihr<br />

Gehalt zahlt die Regierung zwei Jahre lang. Danach sollen die Kolonisten die Besoldung der Geistlichen selbst übernehmen<br />

und die Auslagen der ersten zwei Jahre nach Ablauf von zehn Jahren dem Staat in Raten zurückerstatten.<br />

Die Gehälter für die Geistlichen werden wegen der anfänglichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und aus diversen<br />

anderen Gründen vom Saratower Tutelkontor übernommen.<br />

Auch die Kosten für den Bau von Kirchen und Bethäusern werden von diesem Kontor übernommen, alle diese Auslagen<br />

sollen nach Ablauf der Freijahre an die Krone zurückerstattet werden.<br />

Im Januar 1765 wird die Errichtung von Gotteshäusern in jedem Kreis gestattet und bereits 1768 die ersten beiden<br />

Kirchen mit Pastorat und Schule gebaut. Bis Ende des Jahres 1771 hat jeder Kreis der Wolgakolonien eine Kirche<br />

und die dazugehörige Schule.<br />

Die Geistlichen sollten aber nicht nur als Seelsorger im kirchlichen Rahmen wirken, sondern auch zur Stärkung von<br />

Sitte und Moral beitragen und durch Ermahnung zu besserer Arbeitshaltung die wirtschaftliche Entwicklung der<br />

Kolonien fördern. Die Seelsorge ist aber, abgesehen von den materiellen Problemen der Geistlichen, unbefriedigend<br />

geregelt. Nicht alle Pfarrstellen können besetzt werden, und daher werden zunächst Seelsorger aus dem Ausland<br />

eingeladen.<br />

Eine evangelisch-theologische Fakultät gibt es in Russland erst mit der Gründung der Universität zu Dorpat (heute<br />

Tartu) im Jahre 1802. Sie hat aber vor allem für den Priesternachwuchs der baltischen Provinzen und der Hauptstädte<br />

zu sorgen. Der erste Absolvent dieser Universität kommt 1854 in die Kolonien von Transkaukasien. Kolonistensöhne<br />

haben erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in größerer Zahl in Dorpat studiert.<br />

Die Schulfrage ist eng mit der Kirchenfrage verbunden. Sowohl die Protestanten als auch Katholiken legen großen<br />

Wert auf eine sorgfältige Ausbildung der Geistlichkeit und auf die Verbreitung von Elementarkenntnissen im Volk.<br />

Da die Einwanderer aus ihrer Heimat die Volksschule kennen, ist es nicht verwunderlich, dass sie nicht nur während<br />

der Anreise „Schule hielten“, sondern sogleich nach der Ansiedlung bestrebt sind, Schulen für ihre Kinder zu schaffen.<br />

In der ersten Zeit nach der Einwanderung gibt es noch genügend Gebildete, die das Lehramt ausüben können. Im<br />

Jahre 1782 aber entfällt die Besoldung der Lehrer durch das Tutelkontor, und man geht zur Unsitte über, das Lehramt<br />

demjenigen zu übertragen, der dafür das geringste Entgelt fordert.<br />

Im Jahre 1865 gibt es in den Wolgakolonien 175 kirchliche Schulen, in denen 22.046 Knaben und 21.223 Mädchen<br />

von 214 Lehrern unterrichtet werden. Das sind 247 Kinder pro Schule oder 202 Kinder pro Lehrer. Wohlhabende<br />

Kolonisten schickten ihre Kinder auf höhere russische Schulen oder lassen sie von Privatlehrern unterrichten.<br />

Die Situation in den Kolonien Südrusslands unterscheidet sich von der an der Wolga recht deutlich. Das liberale<br />

Schulgesetz für Wolhynien, Kiew und Polodien findet auch in den Kolonien Neurusslands Anwendung. Hier sind<br />

Geldsammlungen für schulische Zwecke erlaubt. Zudem ist es angesichts des Wohlstandes der Kolonien leichter,<br />

zusätzliche Gelder zu sammeln. Das beste Beispiel für Wohltätigkeit durch Privatinitiative gibt es in der deutschen<br />

Gemeinde zu Odessa.<br />

Auf Veranlassung von Pfarrer Fletnizer wird 1829 eine Sammlung für eine Schule durchgeführt. In dieser Schule<br />

werden die Fächer Deutsch, Russisch, Französisch, Arithmetik, Rechtschreiben, Geographie, Geometrie, Geschichte,<br />

Naturkunde, Technologie, Gesang und Malen unterrichtet. Neben dieser Schule wird in Odessa durch die Initiative<br />

der Geistlichkeit bereits 1823 eine Armenkasse und 1831 ein Altersheim gegründet; später kommen ein Hospital<br />

und ein Waisenhaus dazu. In der Mitte des Jahrhunderts folgt eine Realschule, eine Handelsschule und Kurse für<br />

Mädchen.<br />

Alle diese Einrichtungen werden jahrzehntelang durch die Spenden der Gemeindemitglieder finanziert. Zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts hat jedes Kolonistengebiet Neurusslands eine Zentralbildungsanstalt zur Ausbildung von Lehrern<br />

und Schreibern. Zur selben Zeit werden in Georgien Ackerbauschulen und Progymnasien, in Tiflis ein Realgymnasium,<br />

in Helenendorf eine Oberrealschule gegründet, um nur einige zu nennen.<br />

<strong>TB</strong> 15<br />

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