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TB 1 - Landesfilmdienst Nordrhein-Westfalen eV

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FORDERUNG NACH REHABILITATION –<br />

TREIBGUT DES ZWEITEN WELTKRIEGS – BS 16<br />

Eine Russlanddeutsche erinnert sich an ihr Kriegsende in der Verbannung<br />

Susanne Tiessen wundert sich ein wenig, dass sich jemand für ihre Geschichte interessiert.<br />

Die kleine Frau sitzt bei ihrer jüngeren Schwester im Wohnzimmer in Bonn-Beuel und ist<br />

unsicher, ob sie sich mit ihren 90 Jahren noch an alles erinnern kann. Aber an den Tag, als<br />

der Krieg zu Ende ging, entsinnt sich Susanne Tiessen genau. Sie hat ihn in Sibirien erlebt,<br />

2.000 Kilometer von ihrer Heimat, der Ukraine, entfernt. "Das war ein trauriger Tag. Ich lag<br />

mit meiner Schwester auf dem Hof der Kolchose - im Gras. Wir zitterten, denn wir hatten<br />

beide Malaria. ‚Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen’ dröhnten die Russen auf der<br />

Straße." Als Deutschland die Kapitulation unterzeichnet, liegt ihre Verschleppung nach Si-<br />

birien vier Jahre zurück. Fast alles hat sie in dieser Zeit verloren. Traurig ist der 8. Mai, weil an diesem Tag auch die<br />

Hoffnung schwindet, wieder in ihr ukrainisches Dorf zurückzukommen: "Ich hatte immer gehofft, dass wir nach<br />

Hause dürfen. Oh, wie wollte ich wieder in die Heimat." Doch wegen ihrer Herkunft gehört sie in den Augen der<br />

Russen zu Nazi-Deutschland.<br />

In den Mühlen der Geschichte<br />

Hatten ihr Auskommen: Deutsche Siedler in Russland. Heimat, das war - und ist - für Su-<br />

sanne Tiessen das kleine Dorf Memrik in der Nähe von Donec’k, 100 Kilometer nördlich<br />

vom Schwarzen Meer. Dorthin waren ihre deutschen Vorfahren Ende des 18. Jahrhunderts<br />

aus der Gegend von Danzig ausgewandert, ins Land geholt von der Zarin Katharina II, die<br />

aus den fruchtbaren Steppenböden eine Kornkammer machen wollte. Großzügig schenkte<br />

die Zarin den Mennoniten drei Parzellen Land pro Familie und versprach Religionsfreiheit.<br />

Einfach hatten es die deutschen Auswanderer in Russland nie, und unter den politischen<br />

Umbrüchen und Hungersnöten zwischen den beiden Weltkriegen haben auch sie zu leiden.<br />

In den 30er Jahren werden sie, wie alle ausländischen Minderheiten, von Stalin misstrauisch beäugt. Aber die Siedler<br />

haben ihr Auskommen. Bis Hitler im Juni 1941 in Russland einmarschiert. Stalin reagiert sofort, denn er fürchtet die<br />

Zusammenarbeit der Russlanddeutschen mit den Angreifern. Innerhalb von drei Monaten lässt er einen großen Teil<br />

der deutschen Minderheit in die entlegenen Gebiete im Osten deportieren.<br />

"Wir waren doch keine Spione"<br />

Endstation: Lager oder Kolchose in Sibirien. Im Spätsommer 1941 trifft es auch die Bewohner<br />

von Memrik. Die deutschen Truppen rücken immer näher, Nacht für Nacht können die Siedler<br />

die deutschen Flugzeuge über ihrem Dorf hören. Dann, am 3. Oktober 1941, kommt der<br />

Befehl, der ihrem bisherigen Leben ein jähes Ende bereitet: Innerhalb von 24 Stunden soll<br />

das ganze Dorf in 43 Eisenbahnwagons verladen werden. Die damals 26-jährige Susanne<br />

Tiessen packt ihre Habseligkeiten und nimmt ihre beiden Kinder, der jüngste Sohn ist gerade<br />

zwei Monate auf der Welt.<br />

Sie ist auf sich alleine gestellt, denn ihr Mann Hans wurde schon einen Monat früher in die so genannte Trudarmee<br />

(Arbeitsarmee) verschleppt. "Viel konnte ich nicht mitnehmen, wer sollte denn das alles schleppen?" Susanne<br />

Tiessen kann die kollektive Bestrafung der deutschen Minderheit weder verstehen, noch will sie die Deportation<br />

wahrhaben: "Wir waren doch keine Spione der Deutschen. Immer wenn der Zug in der Steppe anhielt, haben wir<br />

gehofft, dass er zurückfährt und uns wieder nach Hause bringt."<br />

<strong>TB</strong><br />

32,1<br />

45

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