Human Condition - Universalmuseum Joanneum
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Literatur<br />
Arendt, Hannah: Das Urteilen. Texte<br />
zu Kants politischer Philosophie.<br />
Hrsg. und mit einem Essay von Ronald<br />
Beiner. München & Zürich: Piper 1998.<br />
Dies.: Denktagebuch 1950 – 1973. Hrsg.<br />
von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann.<br />
New York & München: Piper 2002.<br />
Dies.: Ich will verstehen. Selbstauskünfte<br />
zu Leben und Werk. Hrsg. von Ursula<br />
Ludz. München & Zürich: Piper 1996.<br />
Dies.: Menschen in finsteren Zeiten.<br />
Hrsg. von Ursula Ludz. München &<br />
Zürich: Piper 1989 (Orig. 1968).<br />
Dies.: Über die Revolution. München &<br />
Zürich: Piper 1994 (Orig. 1963).<br />
Dies.: Vita activa. Vom tätigen Leben.<br />
München & Zürich: Piper 1981<br />
(Orig. 1958).<br />
Dies.: Vom Leben des Geistes. Das<br />
Denken. Das Wollen. Hrsg. von Mary<br />
McCarthy. München & Zürich: Piper 1981.<br />
Dies.: Was ist Politik? Fragmente aus<br />
dem Nachlass. Hrsg. von Ursula Ludz,<br />
Vorwort von Kurt Sontheimer.<br />
München & Zürich: Piper 2003.<br />
Dies.: Fernsehgespräch mit Günter Gaus.<br />
In: Hannah Arendt: Ich will verstehen.<br />
Selbstauskünfte zu Leben und Werk.<br />
Hrsg. von Ursula Ludz. München &<br />
Zürich: Piper 1996, S. 46–72.<br />
Dies.: Kultur und Politik. In: Hannah<br />
Arendt: Zwischen Vergangenheit und<br />
Zukunft. Übungen im politischen<br />
Denken I. Hrsg. von Ursula Ludz. München<br />
& Zürich: Piper 1994, S. 277–304.<br />
Dies.: Verstehen und Politik. In: Hannah<br />
Arendt: Zwischen Vergangenheit<br />
und Zukunft. Übungen im politischen<br />
Denken I. Hrsg. von Ursula Ludz. München<br />
& Zürich: Piper 1994, S. 110–127.<br />
Benhabib, Seyla: Hannah Arendt.<br />
Die melancholische Denkerin der<br />
Moderne. Hamburg: Rotbuch 1998.<br />
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft.<br />
Hrsg. von Wilhelm Weischedel.<br />
Werkausgabe X. Frankfurt/Main:<br />
Suhrkamp 1974.<br />
Scholem, Gershom: Briefe. Band II,<br />
1948–70. Hrsg. von Itta Shedletzky.<br />
München: Beck 1995.<br />
Trawny, Peter: Denkbarer Holocaust.<br />
Die politische Ethik Hannah Arendts.<br />
Würzburg: Königshausen & Neumann<br />
2005.<br />
Ders.: Verstehen und Urteilen.<br />
Hannah Arendts Interpretation der<br />
Kantischen „Urteilskraft“ als politischethische<br />
Hermeneutik. In: Zeitschrift für<br />
philosophische Forschung 60/2 (2006),<br />
S. 269–289.<br />
3 „Sorge um die Welt“ in Zeiten der Globalisierung?<br />
Aber ist dies in einer globalisierten Welt noch möglich? Können wir überhaupt noch<br />
handeln, etwas verändern, oder laufen nicht vielmehr einfach Prozesse ab (ökonomische<br />
Prozesse, Naturprozesse etc.), auf die nur mehr reagiert werden kann? Arendt hat<br />
diese Warnung schon vor mehr als fünfzig Jahren ausgesprochen: Es muss nicht immer<br />
nur der Totalitarismus sein, der der Welt ein einziges, unerbittliches Gesicht aufzwingt.<br />
Die ÖkoNomie (das Gesetz des Haushalts, also des Lebens) zwingt uns heute – mittlerweile<br />
in globalisierten Dimensionen – ebenso mit einer Notwendigkeit in eine Perspektive,<br />
die die vielen Perspektiven obsolet macht und uns schließlich vergessen lässt, das wir<br />
tatsächlich immer „neu beginnen“ könnten.<br />
Emanzipation ist in diesem Sinne auch Befreiung von der Notwendigkeit, oder besser:<br />
Befreiung von der Perspektive, in der uns gewisse Dinge als unabänderliche Notwendigkeiten<br />
erscheinen. Diese Perspektive nennt Arendt die des „animal laborans“ (des<br />
„arbeitenden Tiers/Lebewesens“), das in allem einen schnelllebigen Konsumartikel sieht<br />
und voll in die Prozesshaftigkeit des Erzeugens und Verzehrens eingespannt ist. Das<br />
moderne Leben der westlichkapitalistischen Massengesellschaften ist nach Arendt<br />
durch die Sichtweise des „Jobholders“ charakterisiert, dessen einzige individuelle<br />
Entscheidung nur noch darin liegt, die eigene Identität aufzugeben, um im Strom des<br />
Lebens automatisch zu funktionieren und die eigenen Empfindungen zu betäuben.<br />
Die Freizeit, die wir auf Kosten anderer gewinnen, macht uns nicht frei für das „Höhere“<br />
(wie Marx es hoffte), sondern „wird niemals für etwas anderes verbraucht als das<br />
Konsumieren, und je mehr Zeit [dem animal laborans] gelassen wird, umso begehrlicher<br />
und bedrohlicher werden seine Wünsche und sein Appetit“20. In dieser Haltlosigkeit<br />
liegt letztlich auch die Banalität des Bösen, die Arendt an anderer Stelle so prominent<br />
kritisiert hat. Denn es gehen darin die Fähigkeiten, die auf die Grundbedingung der<br />
Pluralität antworten, verloren, Urteilsmüdigkeit mündet in Urteilsenthaltung, das<br />
Handeln wird gegen das bloße „Verhalten“ eingetauscht und die Multiperspektivität der<br />
Welt auf einen stromlinienförmigen Lebens und Konsumerhaltungsprozess hin normiert.<br />
Arendt spricht von einem „Erfahrungsschwund“.<br />
Es klingt einfacher, als es ist, sich aus diesem Klima des Erfahrungsschwunds und der<br />
(pseudotoleranten) Indifferenz zu emanzipieren. Die Welt, in der wir leben, „macht<br />
etwas mit uns“, sie nistet sich in unsere tiefste Psyche ein, strukturiert und formiert<br />
unser Empfinden – und selbst das AufgestörtWerden gehört schon zu einer gewissen<br />
Routine, die immer noch stärker am affektiven und emotionalen Lautstärkeregler<br />
drehen muss. Politik und Medien arbeiten deshalb in unseren lustlosen Demokratien<br />
verstärkt und vorrangig – um noch einmal mit Kant zu sprechen – mit „Reiz und Rüh<br />
rung“21 und bedienen den „schmelzenden Affekt“22: womit eher geistige „Wüsten“23<br />
(Arendt) als konkrete Handlungs und Diskussionsräume erzeugt werden. Gleichzeitig<br />
wächst das Misstrauen in den öffentlichen politischen Raum als Ort der Verhandlung<br />
von Angelegenheiten, die alle betreffen. Je mehr Kommunikationsmöglichkeiten wir<br />
haben, umso mehr scheint der Raum der qualifizierten öffentlichen Kommunikation zu<br />
schrumpfen – oder aber auch sich grundlegend zu verändern. Die Frage, wie sich diese<br />
Veränderungen letztlich auf das Politische als das koinon (das Gemeinsame) in unseren<br />
Gesellschaften und auf der gesamten Erde auswirken wird, muss hier natürlich offenbleiben.<br />
Auf jeden Fall aber kann gesagt werden, dass sich der „öffentliche Raum“,<br />
so wie Arendt ihn sich vorstellte, durch Blog, Twitter und YouTube gründlich gewandelt<br />
hat und nicht immer nur eine unheilvolle Vermischung von „Privatem“ und „Öffentlichem“<br />
(falls dies jemals so genau trennbar war) erzeugt. Wir müssen und können uns<br />
daher auch innerhalb dieser Unentscheidbarkeiten bemühen, einen Urteils und Handlungsraum<br />
offenzuhalten, der wirklich ein Zwischen pluraler Perspektiven als „Welt“