29.07.2013 Aufrufe

Human Condition - Universalmuseum Joanneum

Human Condition - Universalmuseum Joanneum

Human Condition - Universalmuseum Joanneum

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

90 — 91<br />

Adam Budak<br />

79 Vgl. Rancière, Der emanzipierte<br />

Zuschauer, S. 101-125.<br />

80 Susan Sontag: Das Leiden<br />

anderer betrachten. Frankfurt:<br />

Fischer 2005, S. 142.<br />

81 Sontag, Das Leiden anderer<br />

betrachten, S. 113.<br />

Krieges teilhaben am notwendigen und dringenden Akt gemeinschaftlicher wie individueller<br />

Katharsis.<br />

Episode 3 markiert einen weiteren Schritt des Künstlers bei seiner Erforschung des<br />

„Leids der anderen” vermittels einer Analyse der Mechanismen der globalen Politik<br />

und Ökonomie. Diesmal bricht Martens auf eine danteske Reise in das Innere des<br />

Kongos auf und erlebt eine von Krieg, extremem Elend und Ungerechtigkeit gequälte<br />

Gesellschaft. Auch in diesem Fall verläuft die Erzählung auf zwei Ebenen und birgt eine<br />

autoreflexive Komponente in sich, die sich mit der Politik der Bildproduktion befasst,<br />

und hier ganz besonders mit der Ethik und Ökonomie der Darstellung postkolonialen<br />

Leids. „Was macht ein Bild unerträglich?“, fragt Martens im Sinne von Jacques Rancière<br />

und rührt somit provokant an der Ordnung der sichtbaren Dinge und spürt einer Verlagerung<br />

vom Unerträglichen im Bild zur Unerträglichkeit des Bildes selbst nach, die<br />

sich laut Rancière im Zentrum der Spannungen verorten lässt, welche die politische<br />

Kunst berühren.79 Seine Kritik am westlichen Fotojournalismus verweist auf einen<br />

Missbrauch menschlichen Elends und menschlicher Armut als „abgepackte Ware“ für<br />

die Augen der westlichen Welt. Martens widmet sich kühn der erdrückenden Armut und<br />

dem überwältigenden Leid eines von Gewalt und Unheil heimgesuchten Landes, das<br />

von den Medien in eine Bilderfabrik und in ein faszinierendes Spektakel verwandelt<br />

worden ist, und lässt somit Susan Sontags Reflexion zur Psychologie der Bilder der<br />

Katastrophe und des Bösen anklingen. Susan Sontag fragte sich „Gibt es ein Mittel<br />

gegen die so nachhaltig verführerische Wirkung, die vom Krieg ausgeht?“80 und verweist<br />

auf das beinah obsessive Interesse an ihnen, das schon Edmund Burke in seinen<br />

Philosophischen Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und<br />

Schönen (1757) betont hat: „Kein Schauspiel verfolgen wir mit solchem Eifer wie das<br />

eines ungewöhnlichen, betrüblichen Unglücks.“81 Renzo Martens entlarvt die Masken<br />

der pseudohumanitären internationalen Hilfsorganisationen und ihrer schonungslosen<br />

Ausbeutung der menschlichen Tragödie und sucht, gegen den Strich, nach Alternativen:<br />

Der Vorschlag des Künstlers ist überraschend und verzweifelt, doch könnte man<br />

ihn auch als ironisch, ja als zynisch, auffassen – „Enjoy please the poverty” (Genießt<br />

doch bitte die Armut) ist das subversive Motto seines emanzipatorischen Kursus, den<br />

er für kongolesische Amateurfotografen ins Leben gerufen hat, eine Akademie des<br />

Überlebens und eine Schule der Bewältigung ihres eigenen Elends, eine kontroverse<br />

„Aufklärungsstunde“. „Ich bringe ihnen bei, wie sie mit dem Leben klarkommen“ – so der<br />

Kommentar des Künstlers zu seiner Idee, die Einheimischen mit einer Art lehrreichem<br />

Know-how-Paket auszustatten, mit dem sie ihr Unglück in eine Einkommensquelle verwandeln<br />

können. Unterwiesen von Renzo Martens, beginnen sie westliche Fotojournalisten<br />

nachzuahmen, indem sie Fotos vom Krieg, den Vergewaltigungen und der Armut<br />

schießen – all jenen Dingen, von denen sie heimgesucht und umgeben sind, anstatt<br />

der üblichen Fotos von den Volks- und Familienfesten, die zwar zu den Freuden ihres<br />

Lebens zählen, aber deren Marktwert unverhältnismäßig niedriger ist als die Einkünfte<br />

mit dem sensationsheischenden und drastischen Bildmaterial: Dokumenten des Leids,<br />

der Grausamkeit und des Bösen. Martens bewegt sich in einem ganz besonderen und<br />

einzigartigen Genre, einer mutigen Art Metasprache, die zwischen (performativem)<br />

Dokumentarfilm, Doku-Drama, Performance und emanzipiertem Reisetagebuch oszilliert<br />

und eine subjektive Erzählung mit einem kritischen Ansatz zum aufgezeichneten<br />

Material in sich vereint. Der Künstler/Erzähler praktiziert aber auch eine Art Travestie:<br />

In Episode 1 spielt er einen westlichen Amateurjournalisten, wogegen er in Episode 3<br />

vielmehr als Utopist agiert, als naiver und uneingeweihter Aktivist oder als zynischer<br />

Coach, der „Know-how“ in gefährdete Krisengebiete bringt. Irgendwo zwischen geistigem<br />

Abstand, Engagement, Anschuldigung und Protest ist der chamäleonhafte und<br />

heterotopische Charakter des Künstlers einer von vielen: Er ist kühler Beobachter und

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!