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Human Condition - Universalmuseum Joanneum

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84 — 85<br />

Adam Budak<br />

65 Susan Philipsz, zitiert in:<br />

Charlotte Higgins: Susan Philipsz:<br />

Lament for a Drowned Love.<br />

http://www.guardian.co.uk/<br />

artanddesign/2010/apr/04/susanphilipsz-glasgow-internationalinterview<br />

66 Peio Aguirre: When the Body<br />

Speaks. On the Work of Susan<br />

Philipsz. In: A Prior, Nr.16, zu<br />

finden unter:<br />

http://www.aprior.org/articles/33<br />

67 Marcel Dzama, zitiert in:<br />

M. J. Thompson: The Infinitude<br />

of Cool. Border Crossings 107<br />

(August 2008), S. 1000.<br />

zurückzuführen, nicht umgekehrt. Was ich bewirken möchte, ist [Ihnen] den Ort, an<br />

dem Sie sich befinden, bewusster zu machen und dabei gleichzeitig Ihr eigenes Selbstempfinden<br />

zu verstärken. Also ist die Verortung dieser Arbeit sehr wichtig, der Ort wird<br />

zum visuellen Element.65<br />

Oft an unerwarteten Orten im öffentlichen Raum in Szene gesetzt (unter einer Brücke,<br />

in einem Heiligtum, in einem Luftschutzraum, auf Friedhöfen oder über die Lautsprecher<br />

eines Tesco-Supermarkts geleitet), streben Susan Philipsz’ eindringliche Songs<br />

nach Zugehörigkeit und Akzeptanz. Songs als Hommage, Songs als Ehrenmale, in<br />

der Schwebe zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, obsessive Litaneien<br />

und Wehklagen, in denen das Verschwinden eines geliebten Menschen betrauert wird,<br />

Mordballaden und Hymnen auf unerfüllte Liebe und Sehnsucht oder sogar Radio-<br />

Pausenzeichen aus der ganzen Welt dargeboten auf dem Vibrafon (aufgenommen von<br />

der Künstlerin selbst für ihre aktuelle Installation You are not alone für das Radcliffe<br />

Observatorium der Universität Oxford, ein wunderschönes, auf dem antiken Turm der<br />

Winde in Athen basierendes Gebäude aus dem 18. Jahrhundert) – das sind Susan Philipsz’<br />

aufrichtige Zeugnisse der Unheimlichkeit des menschlichen Schicksals. In der Tat,<br />

mit Susan Philipsz’ Arbeiten sind wir am Fundament menschlichen Seins angelangt, an<br />

dem Augenblick der Herausbildung der Subjektivität und der Erkennungsprozesse, an<br />

dem sich die empathischen Eigenschaften formen und emanzipatorische Triebe erzeugt<br />

werden. Peio Aquirre merkt dazu Folgendes an:<br />

Wiederholung – wieder und immer wieder singen, seine eigene Stimme hören und<br />

seiner eigenen Stimme zuhören – hat einen Effekt, der in der Psychoanalyse zur Erlangung<br />

von Subjektivität in Beziehung gesetzt wird. Mit der Wiederholung des Lieds<br />

identifizieren wir uns mit der Stimme und mit dem mit dieser Stimme verbundenen<br />

imaginären Körper. Erst durch diese Wiederholung verliert das Kind (bei Wiegenliedern<br />

und Märchen) seine Angst vor dem Draußen und wird zum autonomen Subjekt. Dies ist<br />

der wahre Zweck der Endlosschleife (Loop) in Philipsz’ Arbeit. Die Endlosschleife ist ein<br />

Mechanismus, der in seiner Unendlichkeit zum Sender einer ewigen Wiederkehr wird,<br />

der das Bewusstsein durch die gemütliche, zyklische und beruhigende Wirkung des<br />

Klangs durchdringt.66<br />

Von geisterhaften Stimmen bewohnt und zusammengesetzt aus Klängen aus der Vergangenheit<br />

und Erinnerungen, ist Susan Philipsz’ melancholisches und metaphysisches<br />

Werk sowohl Trauer über eine verlorene Zeit als auch Feier der Rückkehr und wiedererlangten<br />

Hoffnung.<br />

Für das performative und polyphone Œuvre (Grafiken, Collagen, Skulpturen, Dioramen,<br />

Videos) des kanadischen Künstlers Marcel Dzama, in dem sich kollektives Gedächtnis<br />

und Kulturerbe (Imaginäres und Texte aus alter Zeit, wie Mythen, Sagen, Volkslieder<br />

und Volksmärchen, die primären Quellen der kulturellen und zivilisatorischen Weisheit<br />

der Menschheit) mit der intimsten traumartigen Erfahrung wie auch dem Wirken anderer<br />

unkontrollierter Bewusstseinszustände verbinden, ist der Tagtraum ein Bereich,<br />

der einen verblüffenden kreativen Output ermöglicht. So errichtet Dzama seine eigene<br />

einzigartige und exklusive Privatmythologie, seinen hypersymbolischen Mikrokosmos,<br />

heimgesucht von psychophysiologischen Traumata: Wir befinden uns in einer (schönen<br />

neuen) Welt am Rand der zivilisatorischen Raserei, an den Grenzen der Zurechnungsfähigkeit,<br />

jenseits des Glaubens und jeder Vernunft, in einem geistesgestörten Theater<br />

des Exzesses. „Ich mag die Idee, eine Mythologie oder einen alten Volksglauben zu<br />

erfinden“, sagt der Schöpfer halb menschlicher, halb tierischer Kreaturen, Hybride aus<br />

außerirdischen Fantasien, Cyborgs der posttechnologischen Hysterie. „Ich zeichne<br />

am Tag doch meine Ideen entstehen in der Nacht“67, fügt der Künstler hinzu, dessen<br />

Fantasie die Schwellenbereiche zwischen Träumen und Wachen bewohnt, während er<br />

ein dunkles Vokabular der Psychose und des posthumanen Deliriums ersinnt. Durch

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