Human Condition - Universalmuseum Joanneum
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72 — 73<br />
Adam Budak<br />
8 Holmes, Escape the Overcode,<br />
S. 401<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
9 Nicolas Bourriaud: Precarious<br />
Constructions. Answers to Jacques<br />
Ranciere on Art and Politics. In:<br />
Open. Cahier on Art and the Public<br />
Domain No. 17 (2009), S. 23<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
10 Bourriaud, Precarious<br />
Constructions, S. 32<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
11 Comité invisible,<br />
L’insurrection qui vient, S. 9<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
12 Ibid., S. 83<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
http://www.mecanopolis.org/<br />
wp-content/uploads/2008/11/<br />
pdf_insurrection.pdf<br />
13 Vgl. Ibid., S. 15<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
14 Ibid., S. 19.<br />
Mehr als je zuvor tauchen zahlreiche Fragen von alarmierender Dringlichkeit auf und<br />
es formen sich dann Aussagen von sowohl Verzweiflung als auch Klarheit, verschickten<br />
Manifesten, Äußerungen einer Gesellschaft, einer Menschlichkeit im Angesicht des<br />
Verlusts moralischer Autorität und eines Gefühls für Werte. Wer spricht heute für die<br />
Menschheit? Mit welcher Stimme und mit welchen Absichten? Was sind die vordringlichen<br />
Verpflichtungen in unserer Zeit? Was ist moralisch verbindlich? Wir warten. Wir<br />
hängen in der Luft. Es sind prekäre Zeiten, in denen wir leben – zerbrechliche und ephemere<br />
Augenblicke der Kurzlebigkeit. Beständigkeit ist zu einer Seltenheit geworden.<br />
In seiner Analyse des „Prekariats“ erinnert Nicolas Bourriaud an Zygmunt Baumans<br />
Definition unserer Zeit als einer der „flüssigen Moderne“ in Form einer Gesellschaft von<br />
allgemeiner Disponibilität, wo nichts verrufener ist als „die Standfestigkeit, Klebrigkeit<br />
und Zähflüssigkeit von belebten wie unbelebten Dingen“9. „Prekär“ bedeutet, wie Bourriaud<br />
erinnert, etymologisch „das, was nur dank einer jederzeit umkehrbaren Genehmigung<br />
existiert. Die precaria waren die Felder, die für einen festgesetzten Zeitraum<br />
dem Bauern vom Grundherrn zur Nutzung überlassen wurden, ganz unabhängig von<br />
den Gesetzen zur Regelung von Eigentumsfragen. Man sagt, ein Gegenstand sei prekär,<br />
wenn er weder einen eindeutigen Status noch eine sichere Zukunft oder endgültige<br />
Bestimmung hat: Er ist gefangen, in der Schwebe, wartend, umgeben von Unschlüssigkeit.<br />
Er besetzt ein transitorisches Territorium.“10<br />
Wir warten. Wir hängen in der Luft, in Erwartung. Das vom anonymen Kollektiv Comité<br />
invisible verfasste politische Pamphlet L’insurrection qui vient (Der kommende Aufstand)<br />
konstatiert knallhart: „Darüber ist sich jeder einig. Wir stehen unmittelbar vor<br />
dem großen Knall.”11 Wir warten weiter, während sie behaupten:<br />
Warten ist sinnlos – auf einen Durchbruch, auf die Revolution, die atomare Apokalypse<br />
oder eine soziale Bewegung. Weiter warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe wird nicht<br />
kommen, sie ist schon da. Wir befinden uns bereits mittendrin im Zusammenbruch der<br />
Zivilisation. Und in eben dieser Wirklichkeit müssen wir Position beziehen.12<br />
Die Rhetorik der Krise und die Rhetorik der Macht überschneiden sich hier; das Teilen<br />
von Empfindsamkeit und die weitere Ausarbeitung des Teilens ist ein Antrieb: die<br />
Enthüllung dessen, was uns gemein ist und der Aufbau einer Macht. Die Empathie fungiert<br />
als Mittel zur Messung der Intensität des Teilens.13 Und noch eine Frage, ebenso<br />
merkwürdig wie auf der Hand liegend und verwundbar, kommt hier zum Ausdruck: „Wie<br />
finden wir einander?”14 Inmitten der Aufstände in Griechenland und Frankreich, beim<br />
Gebet im Schatten eines Tempels, wird ein Ruf nach einem Aufstand geäußert.<br />
Die zur Ausstellung <strong>Human</strong> <strong>Condition</strong>. Mitgefühl und Selbstbestimmung in prekären<br />
Zeiten eingeladenen Künstler erschließen den kritischen Raum des menschlichen Seins<br />
und legen ihr Augenmerk ganz besonders auf Hannah Arendts Handeln, eine der ganz<br />
grundlegenden menschlichen Tätigkeiten, die zusammen mit Arbeiten und Herstellen<br />
die Vita activa bzw. das tätige Leben ausmachen und den elementaren Bedingungen<br />
entsprechen, unter denen dem Menschen in Hannah Arendts Worten das Leben auf<br />
Erden geschenkt wurde. Die menschliche Grundbedingung, unter der die Tätigkeit<br />
des Arbeitens steht, ist das Leben selbst, wogegen das Herstellen für eine „künstliche“<br />
Welt der Dinge sorgt, deutlich anders als jede natürliche Umgebung, und seine<br />
menschliche Grundbedingung ist die Weltlichkeit. Das Handeln ist, wie Arendt ausführt,<br />
die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material<br />
und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt. Die Grundbedingung, die ihr entspricht,<br />
ist das Faktum der Pluralität, nämlich die Tatsache, daß nicht ein Mensch, sondern<br />
viele Menschen auf der Erde leben und die Welt bevölkern.15<br />
Das Handeln wird verknüpft mit dem Prinzip des Neuanfangs, „im ursprünglichsten<br />
und allgemeinsten Sinne ist Handeln und etwas Neues anfangen dasselbe; jede Aktion