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Human Condition - Universalmuseum Joanneum

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11 „In diesem Sinn kann man<br />

sagen, daß das Antlitz nicht<br />

‚ gesehen‘ wird. Es ist das, was<br />

nicht ein Inhalt werden kann, den<br />

unser Denken umfassen könnte;<br />

es ist das Unenthaltbare, es führt<br />

uns darüber hinaus.“ Lévinas,<br />

Ethik und Unendliches, a.a.0.,<br />

S. 65.<br />

dessen, was wir sehen und was wir wissen können. Es wäre aber ein Fehler, zu glauben,<br />

wir müßten lediglich die richtigen und wahren Bilder finden, und dann werde eine<br />

be stimmte Wirklichkeit schon übermittelt. Die Wirklichkeit wird nicht von dem vermittelt,<br />

was im Bild dargestellt wird, sondern dadurch, daß die Darstellung, welche die<br />

Realität übermittelt, in Frage gestellt wird.11<br />

Die Entleerung des Menschlichen durch das Bild in den Me dien muß dennoch unter<br />

dem Gesichtspunkt des umfassenderen Problems verstanden werden, daß normative<br />

Schemata der Intel ligibilität die Etablierung dessen bewirken, was als menschlich<br />

gelten wird und was nicht, was ein lebenswertes Leben sein wird und was ein betrauernswerter<br />

Tod. Diese normativen Schemata wirken nicht bloß, indem sie Ideale des<br />

Menschlichen erzeugen, die einen Unterschied zwischen denjenigen machen, die mehr<br />

oder weniger menschlich sind. Zuweilen erzeugen sie Bilder von Untermenschen in der<br />

Verstellung als Menschen, um zu zeigen, wie sich das Untermenschentum verstellt und<br />

diejenigen von uns zu betrügen droht, die möglicherweise glauben, in jenem Gesicht<br />

einen anderen Menschen zu erkennen. Aber manchmal funktio nieren diese normativen<br />

Schemata gerade dadurch, daß sie kein Bild, keinen Namen, keine Erzählung liefern,<br />

so daß es niemals ein Leben und niemals einen Tod gegeben hat. Es handelt sich um<br />

zwei unterschiedliche Formen der normativen Macht: Die eine wirkt, indem sie eine<br />

symbolische Identifikation des Gesichts mit dem Unmenschlichen vornimmt und unser<br />

Verständnis für das Menschliche in der Szene vorab ausschließt; die andere funktioniert<br />

durch gründliche Auslöschung, so daß es niemals einen Menschen, nie ein Leben<br />

gegeben hat und daher auch nie ein Mord stattgefunden hat. Im ersten Fall muß<br />

etwas, das bereits im Bereich des Erscheinens aufgetaucht ist, als erkennbar menschlich<br />

bestritten werden; im zweiten Fall wird der öffentliche Bereich des Erscheinens an<br />

sich erst auf der Grundlage des Ausschlusses jenes Bildes konstituiert. Die anstehende<br />

Aufgabe ist die, in der Öffentlichkeit Formen des Sehens und Hörens zu etablieren,<br />

die auf den Schrei des Menschlichen in der Sphäre des Erscheinens durchaus reagieren<br />

können, eine Sphäre, in der die Spur des Schreis übertrieben gesteigert wurde, um<br />

einen unersättlichen Nationalismus zu rationalisieren, oder vollständig getilgt wurde,<br />

wobei beide Alternativen auf dasselbe hinauslaufen. Wir können dies als eine der<br />

philosophischen und repräsentationalen Implika tionen des Kriegs betrachten, weil die<br />

Politik – und die Macht – zum Teil so funktionieren, daß sie vorschreiben, was erscheinen<br />

darf und was gehört werden kann.<br />

Diese Schemata der Intelligibilität werden natürlich still schweigend und nachdrücklich<br />

von jenen Konzernen gedeckt, die die Kontrolle über die breitenwirksamen Medien<br />

monopolisie ren, welche ein starkes Interesse daran haben, die militärische Macht<br />

der USA aufrechtzuerhalten. Die Kriegsberichterstattung hat die Notwendigkeit einer<br />

umfassenden Entmonopolisierung der Medieninteressen in aller Deutlichkeit sichtbar<br />

werden lassen, während die diesbezügliche Gesetzgebung, wie abzusehen war, auf<br />

Capitol Hill höchst umstritten gewesen ist. Wir denken bei diesen Interessen an die<br />

Ausübung von Kontrolle als Eigentü merrecht, doch gleichzeitig entscheiden sie auch<br />

darüber, was öf fentlich als Realität erkennbar sein wird oder nicht. Sie zeigen zwar<br />

keine Gewalt, aber es liegt eine gewisse Gewalt in der me dialen Formatierung dessen,<br />

was gezeigt wird. Die letztgenannte Gewalt steckt in dem Mechanismus, durch den<br />

bestimmte Menschenleben und Tode entweder nicht darstellbar bleiben oder auf eine<br />

Art und Weise dargestellt werden, die (wieder einmal) ihre Vereinnahmung durch das<br />

Kriegsunternehmen bewirkt. Das er ste ist eine Auslöschung durch Blockierung, das<br />

zweite ist eine Auslöschung durch die Darstellung selbst.<br />

Welche Beziehung besteht zwischen der Gewalt, durch die diese nicht betrauernswerten<br />

Menschenleben verloren gingen, und dem Verbot ihrer öffentlichen Betrauerung?<br />

Ist das Verbot zu trauern die Fortsetzung der Gewalt selbst? Und verlangt das Ver bot<br />

zu trauern eine strenge Aufsicht über die Wiedergabe von Bildern und Worten? Wie

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