Human Condition - Universalmuseum Joanneum
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63 Charles Bell: The Anatomy<br />
and Philosophy of Expression<br />
As Connected with the Fine Arts.<br />
Zitiert in: William Schupbach:<br />
Laokoon and the Expression of<br />
Pain. http://www.wellcome.ac.uk/<br />
en/pain/microsite/culture3.html<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
64 Radiohead:<br />
Pyramid Song. 2001.<br />
daher wird die Stimme, die sich bei der Expulsation von Atemluft beim Einfallen oder<br />
Zusammenpressen des Brustkorbs bildet, unterdrückt.63<br />
Diese beunruhigende Stille begleitet das Leid von Laokoon und seinen Söhnen,<br />
schmerzgequält, das Gesicht des Helden verzerrt und der Körper in Konvulsionen:<br />
Wir werden Zeugen eines Augenblicks des Erwachens, der Verkündigung einer noch<br />
kommenden stillen Apokalypse; wir befinden uns an der Schwelle von Mitgefühl und<br />
Selbstbestimmung. Diese unheimliche Stille und die Unmöglichkeit der klanglichen<br />
Äußerung sind charakteristische Eigenschaften von Kris Martins gesamtem Schaffen.<br />
Seine Skulptur Bells (2008) ist eine melancholische und zerbrechliche Metapher für<br />
eine Existenz in der Schwebe: zwei Bronzeglocken sind beinah wie Liebende im Liebesakt<br />
miteinander verbunden, was sie gleichzeitig völlig ihrer eigentlichen Funktion<br />
entledigt. Kein Glockenschlag ist möglich, keine Handlung kann ausgeführt werden, sie<br />
können weder von Lebensfreude, Trauer über den Tod oder Angst vor Gefahr künden. In<br />
diesem dramatischen Akt der Verweigerung und der Isolation repräsentieren sie eine<br />
weitere Studie der Löschung von Kris Martin, einen weiteren Ausdruck der Endlichkeit<br />
und Sterblichkeit. Verführerisch in der Einfachheit und verblüffenden Intimität gibt<br />
Bells einen Kommentar auf die Hoffnungslosigkeit und die Trägheit der entfremdeten<br />
Gesellschaften der Gegenwart ab. Die Stille dieses Werkes ist Zeugnis einer <strong>Human</strong><br />
<strong>Condition</strong>, die gefangen ist in ihrer Potenz und ihrem Eigensinn.<br />
Kris Martins Inszenierung der Stille wird ergänzt durch die Stimm-Performance der<br />
schottischen Künstlerin Susan Philipsz. „I jumped in the river and what did I see?<br />
Black-eyed angels swam with me” – so beginnt Susan Philipsz’ im Rahmen der Ausstellung<br />
<strong>Human</strong> <strong>Condition</strong>. Mitgefühl und Selbstbestimmung in prekären Zeiten präsentiertes<br />
Werk The River Cycle (2005), ihre von ihr selbst a cappella vorgetragene bewegende<br />
Beschwörung unter Aneignung des psychedelischen Texts von Pyramid Song<br />
(2001) von Thom Yorke, dem Sänger der Band Radiohead. Ein Gefühl von Nostalgie und<br />
Dislozierung evozierend, lädt die Installation zu einer zugleich realen wie magischen<br />
poetischen Reise durch die universellen Themen des Begehrens, des Verlusts und der<br />
Trauer ein, immer wiederkehrende Themen im Schaffen der Künstlerin, die aus dem<br />
Stoff privater Erinnerung wie kollektiver Erfahrung gewebt sind. Die Reise führt über<br />
den mythischen Fluss Styx ins Jenseits, da wir offensichtlich mit dem Tod des Subjekts<br />
konfrontiert werden oder einem anderen wichtigen Übergangsritual. Susan Philipsz’<br />
Performance The River Cycle ist ein Tagtraum, der uns die Illusion einer Verlangsamung<br />
der Zeit und eines Raumes auf der anderen Seite von Cocteaus Spiegel liefert, dort wo<br />
Endlichkeit und Sterblichkeit sich mit einem Gefühl von Befreiung und Erfüllung verschwören:<br />
„there was nothing to fear and nothing to doubt; there was nothing to fear<br />
and nothing to doubt“.64 Die Künstlerin erschafft skulpturale Umgebungen von einem<br />
verblüffenden akustischen Volumen und einer unerhörten Intensität, was auf ihr gründliches<br />
Studium des psychologischen und skulpturalen Potenzials des Klangs und der<br />
Art und Weise, wie architektonischer Raum und öffentlicher Raum durch Klang definiert<br />
werden, zurückzuführen ist. Unter Einsatz verschiedenster (elektro-)akustischer und<br />
narrativer Techniken, die Einfluss auf Sinne und Wahrnehmung des Publikums nehmen<br />
(wie zum Beispiel Halleffekte, Echos, sich überlagernde Stimmen, Loops und tranceartige<br />
Wiederholungen), und unter Aneignung von musikalischen, literarischen und<br />
filmischen Verweisen von Will Oldham bis James Joyce und David Bowie sowie unter<br />
Verwendung von bekannten Volksliedern, Märchen, Balladen oder Wiegenliedern entwirft<br />
Susan Philipsz in gleichem Maße fesselnde wie kathartische Séancen kollektiver<br />
psychophysiologischer Audiohypnose. Mit ihren vorwiegend a cappella vorgetragenen<br />
Interpretationen erforscht die Künstlerin<br />
[e]motive Effekte des Gesangs; wie er Erinnerungen auslöst und einen Ort neu definiert<br />
[…] Mit meiner Arbeit versuche ich, ein Publikum wieder in seine Umgebung