Human Condition - Universalmuseum Joanneum
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47 Ibid., S. 60 f.<br />
48 Ibid., S. 67.<br />
49 Ibid., S. 50.<br />
50 Ibid., S. 155.<br />
51 Ibid.<br />
52 Vgl. Ibid., S. 156 f.<br />
53 Ibid., S. 157.<br />
54 Ibid., S. 165.<br />
55 Ibid., S. 172.<br />
nicht nur stets die Möglichkeit, daß eine Verletzbarkeit nicht anerkannt wird und daß<br />
sie als „Nichtanerkennbare“ konstituiert wird, vielmehr hat, wenn eine Verletzbarkeit<br />
anerkannt ist, diese auch die Macht, Bedeutung und Struktur der Verletzbarkeit selbst<br />
zu ändern. Wenn die Verletzbarkeit eine Vorbedingung für die Vermenschlichung ist<br />
und die Vermenschlichung durch wechselnde Normen der Anerkennung unterschiedlich<br />
erfolgt, dann ergibt sich daraus in diesem Sinne, daß die Verletzbarkeit, soweit sie<br />
irgendeinem menschlichen Subjekt zugeschrieben werden soll, grundsätzlich von den<br />
existierenden Normen der Anerkennung abhängig ist.47<br />
Und es kommen noch weitere drängende Fragen auf, türmen sich vor uns auf, übernehmen<br />
das Kommando und drängen auf ihre verantwortungsvolle Beantwortung: Wie<br />
gehen wir mit unserer Verletzbarkeit um? Wie können wir uns im Zustand der Angst,<br />
der Not und des kollektiven Widerstands schützen? Butler fügt dazu hinzu: „Wollen wir<br />
sagen, daß es unser Status als ‚Subjekte‘ ist, der uns alle verbindet, obwohl das ‚Subjekt‘<br />
für viele von uns als in sich vielfältig und fragmentiert gilt? […] Was erlaubt uns, einander<br />
zu begegnen?“48 „Wessen Leben ist real? Wie ließe sich die Realität neu gestalten?”49<br />
Bei ihrer Ausführung der ethischen Anforderungen und ihrer Untersuchung der Kräfte<br />
der Trauer und der Gewalt fordert sie die Berücksichtigung der Struktur der Ansprache<br />
selbst. Dies ist für die Philosophin die wichtigste Verpflichtung in unserer Zeit – die<br />
Reaktionsweise, die auf ein Angesprochensein folgt, wahrgenommen als „ein Verhalten<br />
gegenüber dem Anderen, nachdem der Andere eine Forderung an mich gestellt<br />
hat, mich einer Schwäche bezichtigt oder mich zur Übernahme einer Verantwortung<br />
aufgefordert hat.“50 Darüber hinaus ist die Struktur der Ansprache wichtig, um zu verstehen,<br />
wie die moralische Autorität eingeführt und aufrechterhalten wird. Für Judith<br />
Butler heißt jemanden in einem Gespräch ansprechen auch eine Form von Koexistenz<br />
eingehen, folglich erweist sich irgendetwas an unserer Existenz als prekär, wenn diese<br />
Ansprache misslingt. Die Struktur der Ansprache ist unmittelbar damit verbunden, wie<br />
moralische Autorität eingeführt wird und funktioniert:<br />
Oder emphatischer ausgedrückt, was uns moralisch verpflichtet, hat damit zu tun, wie<br />
wir von anderen angesprochen werden, in Formen, die wir nicht verhindern oder vermeiden<br />
können. Dieser Einfluß, den die Ansprache des Anderen auf uns ausübt, konstituiert<br />
uns zuallererst gegen unseren Willen, oder vielleicht passender formuliert, noch vor<br />
der Ausbildung unseres Willens.51<br />
Butler geht auf das „Gesicht” ein, eine von Emmanuel Lévinas eingeführte Vorstellung,<br />
um zu erklären, wie es kommt, dass andere moralische Ansprüche an uns stellen,<br />
moralische Forderungen an uns richten, die wir nicht wollen und die wir nicht ohne<br />
weiteres ablehnen können.52 Für sie ist die Annäherung an das Gesicht die elementarste<br />
Form der Verantwortung. „Mich der Verletzlichkeit des Gesichts auszusetzen“53<br />
ist wohl die mutigste Herausforderung. Das Gesicht als die äußerste Gefährdetheit<br />
des anderen; das Gesicht als Diskursrahmen („Antlitz und Gespräch sind miteinander<br />
verbunden“); das Gesicht als Bedingung der Menschwerdung54; das Gesicht als<br />
Darstellung dessen, „womit keine Identifizierung möglich ist, eine Vollendung der<br />
Entmenschlichung und eine Bedingung für Gewalt“55: Genau hier, auf der Bühne des<br />
Gesichts entfalten sich (sanft) die Wesen der Ausstellung <strong>Human</strong> <strong>Condition</strong>. Mitgefühl<br />
und Selbstbestimmung in prekären Zeiten.<br />
Die für die Ausstellung zusammengestellten Kunstwerke bilden eine Sammlung<br />
von Allegorien auf die turbulenten Zeiten, die wir durchleben. In dieser Studie der<br />
menschlichen Porträtkunst tritt das Gesicht als eine Landschaft der Menschlichkeit<br />
auf; es ist die Spiegeloberfläche, auf der sich Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit der<br />
menschlichen Angelegenheiten spiegeln, ein Instrument einer verletzten Identität, die<br />
Vertreibung und Enteignung ausgesetzt ist.