Human Condition - Universalmuseum Joanneum
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1 Gilles Deleuze: Logik des Sinns.<br />
Frankfurt: Suhrkamp 1993, S. 100.<br />
2 Judith Butler: Gefährdetes<br />
Leben. Politische Essays.<br />
Frankfurt: Suhrkamp 2005, S. 68.<br />
3 The Invisible Committee, The<br />
Coming Insurrection, Semiotext(e)<br />
Intervention Series 1, Los Angeles:<br />
Semiotext(e) 2009, S. 16<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
4 Vgl. Hannah Arendt: Vita activa<br />
oder Vom tätigen Leben. München:<br />
Piper 1981.<br />
5 Vgl. Jeremy Rifkin: Die empathische<br />
Zivilisation. Wege zu einem<br />
globalen Bewusstsein. Frankfurt,<br />
New York: Campus 2009.<br />
6 Butler, Gefährdetes Leben, S. 67.<br />
7 Brian Holmes: Escape the<br />
Overcode. Activist Art in the Control<br />
Society. Van Abbemuseum/<br />
WHW 2009, S. 195<br />
[Übersetzung: Lichtenwörther].<br />
Was gibt es Bürokratisches in diesen phantastischen Maschinen, die die Völker und<br />
Gedichte sind? Es reicht, daß wir uns ein wenig zerstreuen, damit wir uns auf der<br />
Oberfläche wissen, daß wir unsere Haut wie eine Trommel spannen, damit die „große<br />
Politik“ beginnt. Ein leeres Feld, weder für den Menschen, noch für Gott; Singularitäten,<br />
die weder allgemein noch individuell, weder persönliche noch universelle sind,<br />
all dies durchquert von Zirkulationen, Echos, Ereignissen, die mehr Sinn und mehr<br />
Freiheit verschaffen, mehr Wirksamkeiten, als der Mensch je erträumt und Gott sich<br />
je vorgestellt hatte. Das leere Feld zirkulieren zu lassen und die prä-individuellen und<br />
unpersönlichen Singularitäten zum Sprechen zu bringen, kurz, den Sinn zu produzieren:<br />
Darin besteht heute die Aufgabe.1<br />
Denn wenn ich von dir verwirrt bin, da bist du bereits bei mir, und ich bin nirgendwo<br />
ohne dich. Ich kann das „Wir” nicht zusammenbringen, es sei denn, ich finde die Art<br />
und Weise, wie ich an das „Du” gebunden bin, indem ich zu übersetzen versuche, aber<br />
feststelle, daß meine eigene Sprache versagen und aufgeben muß, wenn ich dich<br />
kennen will. Du bist das, was ich durch diese Orientierungslosigkeit und diesen Verlust<br />
gewinne. So entsteht das Menschliche immer wieder als das, was wir erst noch<br />
kennenlernen müssen.2<br />
Wenn dann alles gesagt und getan ist, befinden wir uns mit einer gesamten Anthropologie<br />
im Krieg. Mit der Idee des Menschen an sich.3<br />
<strong>Human</strong> <strong>Condition</strong>. Mitgefühl und Selbstbestimmung in prekären Zeiten bietet eine<br />
Reise in die menschliche Ethik, in der die Struktur des Einander-Ansprechens, der Veranwortung<br />
und des moralischen Handelns auf dem Spiel stehen. „Wer sind wir?“, fragt<br />
Hannah Arendt in Vita activa oder Vom tätigen Leben, wo sich die Verwirklichung eines<br />
„Wer“ auf Denk-, Willens- und Urteilsprozesse bezieht.4 „Woraus bestehen wir?“, fragt<br />
Jeremy Rifkin bei seiner Einführung des Homo empathicus, des Protagonisten seiner<br />
„neuen Sicht auf das Wesen des Menschen”.5 „Was gilt als menschlich? Was erlaubt<br />
uns einander zu begegnen?“6, untersucht Judith Butler am Ende ihrer Aufsätze über<br />
zeitgenössische Gewalt und Trauer. Diese Ausstellung ist das Porträt einer prekären<br />
Welt voller Instabilität und mit einer ungewissen Zukunft, in der die Verwundbarkeit der<br />
Gesellschaft hinterfragt und die Zerbrechlichkeit der menschlichen Angelegenheiten<br />
zur Schau gestellt wird. In welchem Verhältnis stehen Mitgefühl und Selbstbestimmung<br />
zueinander? Auf welche Art und Weise wird durch diese Begriffe das menschliche<br />
Sein geformt? Im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Verzweiflung, Selbstermächtigung<br />
und einem rasant wachsenden Riss in der gesellschaftlichen Gestalt,<br />
zwischen kommunalem Begehren und einer Mentalität des Individualismus versammeln<br />
sich in dieser Ausstellung Modelle zeitgenössischer Wirklichkeiten und Konfliktherde.<br />
Im Angesicht der Unvorhersehbarkeit der Zukunft und konfrontiert mit der<br />
Aufhebung bislang verfügbarer Muster stellt sie sich die Frage, ob es noch Hoffnung<br />
gibt, und sucht nach Möglichkeiten von Heldentum im Zeitalter korrumpierter Werte<br />
und der Auslöschung des historischen Subjekts. „Wie kommt die Welt zusammen? Wie<br />
fällt eine Welt auseinander?“ Dies ist Brian Holmes’ Neuformulierung des ganz grundlegenden<br />
„Sein oder Nichtsein?“ unserer Zeit und sein Verweis auf Mittel und Wege<br />
für intellektuelles Handeln an der Basis im heutigen globalen System, als Prozesse der<br />
„Selbstverortung vor dem Horizont der Katastrophe und der anschließenden Ermittlung<br />
der Methoden und Maßstäbe konkreter Intervention in die gelebte Erfahrung“7. In den<br />
Worten dieses Gesellschaftstheoretikers „stehen wir an der Schwelle zu einem Gesellschaftsumbruch,<br />
herbeigeführt durch ein gescheitertes Wirtschaftsmodell, das auch<br />
zum Schmelzen der Polkappen und Aufflammen von Kriegen geführt hat”8.