Human Condition - Universalmuseum Joanneum
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82 Martens gesteht: „Episode 1<br />
und Episode 3 sind die Seitenflügel<br />
eines Triptychons, auf dem<br />
Bilder der Armut, des Krieges und<br />
der historischen Verwüstung als<br />
Produkte zu sehen sind. Sie zeigen<br />
ganz irdische Erzählungen, mit<br />
Rebellen, Priestern, Richtern, Gier<br />
und Kameras – und thematisieren<br />
die Repräsentation selbst als Teil<br />
der ganzen Verwirrung. Wie bei<br />
den mittelalterlichen Altarwerken<br />
wird Episode 2 eines Tages das<br />
alles transzendieren.“ Das hoffe<br />
ich und kann den Release von<br />
Episode 2 kaum erwarten!<br />
83 Sontag, Das Leiden<br />
anderer betrachten, S. 122.<br />
84 Ibid., S. 14 f.<br />
gnadenloser Eindringling, leidenschaftlicher Prediger und Messias, Zeuge und Märtyrer,<br />
narzisstischer Abenteurer und Fremder, und, zu guter Letzt, ein metteur en scène, der<br />
seine grandiose Herzog’sche „(Genießt-doch-bitte-die Armut-)Anti-Broadway-Show”<br />
auf die Leinwand bringt! Als Ich-Erzähler, der auch vor der Kamera auftritt, rückt Renzo<br />
Martens seine eigene Person und eine klare Aussage in den Vordergrund: „Der Künstler<br />
ist da.” In der Tat haben wir es hier mit dem Genre des extremen, ja radikalen Selbstporträts<br />
zu tun – einem künstlerischen Akt als höchster Form der Verantwortung und<br />
des ethischen Bewusstseins.<br />
Renzo Martens’ Episodes sind Studien der Hoffnung wie auch der Hoffnungslosigkeit.<br />
Ebenso tragen Verzweiflung und Resignation zur Verletzbarkeit und Gebrechlichkeit<br />
einer Menschheit im Ausnahmezustand bei. Das als Triptychon konzipierte Werk82 ist<br />
ein Essay über das Leid und birgt als solcher in seinem Herangehen an ethische Fragen<br />
eine beinah religiöse Qualität in sich, ganz besonders wenn es um das Wesen des<br />
Mitgefühls geht. Martens’ Kritik der globalen Mediengesellschaft führt dazu, unserer<br />
Gesellschaft Unfähigkeit zur Empathie zu diagnostizieren. Wieder einmal beschwört<br />
ein Künstler Susan Sontags Einschätzung der zeitgenössischen Politik der Bilder und<br />
der Medien herauf:<br />
Der zweiten Ansicht zufolge […] haben in einer mit Bildern gesättigten, nein, übersättigten<br />
Welt gerade jene Bilder, auf die es ankommen sollte, eine dämpfende Wirkung:<br />
wir stumpfen ab. Letztlich nehmen uns solche Bilder etwas von unserer Fähigkeit zu<br />
fühlen und die Signale, die von unserem Gewissen ausgehen, wahrzunehmen.83<br />
In ihrer Analyse von Virginia Woolfs Reflexionen zu Kriegsbildern bemerkt Susan Sonntag:<br />
Wem diese Bilder nicht wehtun, wer vor ihnen nicht zurückschreckt, wer sich bei ihrem<br />
Anblick nicht gedrängt fühlt, die Ursachen für diese Verwüstung, dieses Blutbads aus<br />
der Welt zu schaffen – der reagiert nach Woolfs Meinung wie ein moralisches Monstrum.<br />
Wir seien aber keine Monster, so gibt sie uns [zu] verstehen, sondern Angehörige<br />
der gebildeten Klasse. Versagt haben unsere Vorstellungskraft und unser Mitgefühl: wir<br />
sind dieser Realität geistig nicht gewachsen gewesen.84<br />
Empathie in der Krise ist offenbar das wichtigste und wertvollste Thema von Renzo<br />
Martens’ künstlerischem Schaffen, doch gleichzeitig scheint es auch, als sei das ehrgeizigste<br />
Motiv dieses im Schatten einer Neonleuchtreklame mit den Worten „enjoy<br />
please the poverty”(Genießt doch bitte die Armut) entstandenen Werks der Drang,<br />
menschliches Leid durch die Mobilisierung der wundersamen Kraft des Mitgefühls und<br />
der Sublimierung zu überwinden. Julia Kristeva formuliert dieses Motiv, diese Herausforderung,<br />
auf äußerst fesselnde Art und Weise und definiert es als eine wichtige<br />
Aufgabe künftiger Generationen. Ihr Manifest ist ein Aufruf zu gemeinsamem Handeln<br />
und Zusammengehörigkeitsgefühl:<br />
Diese Zivilisation – von Christus […] bis Mozart, auf der ganzen Welt bekannte Persönlichkeiten<br />
–, diese Zivilisation, unsere, die heute bedroht ist, von außen wie auch von<br />
unserer eigenen Unfähigkeit, sie zu interpretieren und zu erneuern, hinterlässt uns<br />
somit ihren subtilen Triumph über das menschliche Leid, verwandelt, ohne das Leiden<br />
bis zum Tod des Göttlichen selbst aus den Augen zu verlieren. Uns obliegt es nun,<br />
dieses Erbe wieder anzunehmen, ihm Bedeutung zu verleihen und es im Angesicht der<br />
aktuellen Explosionen des Todestriebes zur Entfaltung zu bringen.<br />
Totalitäre Regime und in einer unterschiedlichen, aber durchaus symmetrischen Art<br />
und Weise die moderne Automatisierung der Spezies behaupten von sich, dem Leid<br />
ein Ende zu machen, es zu beseitigen oder einfach links liegen zu lassen, nur um es<br />
uns dann noch besser als Instrument der Ausbeutung und Manipulation aufzwingen<br />
zu können. Die einzige Alternative zu diesen auf verschiedenen Formen der Leugnung<br />
der Malaise gegründeten Formen der Barbarei ist wohl, sich wieder und wieder durch