Human Condition - Universalmuseum Joanneum
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106 — 107<br />
Autor<br />
2 Augustin, dem gewöhnlich<br />
zugeschrieben wird, die sog.<br />
anthropologische Frage in die<br />
Philosophie eingeführt zu haben,<br />
kannte diese Unterschiede und<br />
Schwierigkeiten sehr gut. Er unterschied<br />
zwischen den Fragen<br />
„Wer bin ich?“ und „Was bin ich?“;<br />
die erste richtete der Mensch an<br />
sich selbst – „Und ich wandte mich<br />
an mich selbst und sprach zu mir:<br />
Du, wer bist Du? (tu, quis es?)<br />
Und ich antwortete: Ein Mensch«<br />
(Confessiones, X, 6). Die zweite<br />
Frage aber richtet der Mensch<br />
an Gott: „Was also bin ich,<br />
mein Gott? Was ist mein Wesen?“<br />
(Quid ergo sum, Deus meus?<br />
Quae natura sum? ib. X, 17).<br />
Denn in dem grande profundum,<br />
das der Mensch ist (IV, 14), gibt<br />
es „etwas Menschliches (aliquid<br />
hominis), von dem der Geist des<br />
Menschen, der in ihm ist, nichts<br />
weiß. Nur Du, o Herr, der Du<br />
ihn geschaf fen hast, weißt alles<br />
von ihm (eius omnia)“ (X, 5).<br />
Dementsprechend ist der bekannteste<br />
dieser Aussprüche, den ich<br />
im Text zitiere, das quaestio mihi<br />
factus sum, eine in der Gegenwart<br />
Gottes erhobene und eigentlich<br />
an ihn gerichtete Frage (X, 33),<br />
die auch nur Gott beantworten<br />
kann. Was die Antworten anlangt,<br />
so kann man in Kürze sagen, daß<br />
das „Wer bin ich?“ mit dem: Ein<br />
Mensch, was immer das sein mag,<br />
zu beantworten ist, während die<br />
Frage „Was bin ich“ überhaupt nur<br />
von Gott zu beantworten ist, der<br />
den Menschen geschaffen hat.<br />
Mit anderen Worten, die Frage<br />
nach dem Wesen des Menschen<br />
ist genau so eine theolo gische<br />
Frage wie die Frage nach dem<br />
Wesen Gottes; beide können nur<br />
im Rahmen einer göttlichen Offenbarung<br />
beantwortet werden.<br />
unlösbar, wobei es sogar gleichgültig ist, ob man diese Frage individualpsychologisch<br />
oder allgemein philosophisch versteht. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß wir, die wir<br />
das Wesen der Dinge, die uns umgeben und die wir nicht sind, also das Wesen irdischer<br />
und vielleicht einiger Dinge in dem die Erde umgebenden Universum, erkennen, bestimmen<br />
und definieren können, auch das Gleiche für uns selbst zu leisten imstande sind –<br />
als könnten wir wirklich über unseren eigenen Schatten springen. Zudem berechtigt<br />
uns nichts zu der Annahme, daß der Mensch überhaupt ein Wesen oder eine Na tur im<br />
gleichen Sinne besitzt wie alle anderen Dinge. Sofern es aber wirklich so etwas wie<br />
ein Wesen des Menschen geben sollte, so ist zweifellos, daß nur ein Gott es erkennen<br />
und defi nieren könnte, weil nur ein Gott vielleicht imstande ist, über ein „Wer“ in dem<br />
gleichen Sinne Aussagen zu machen wie über ein „Was“.2 Die Formen menschlicher<br />
Erkenntnis sind an wendbar auf alles, was „natürliche“ Eigenschaften hat, und so mit<br />
auch auf uns selbst, insofern die Menschen Exemplare der höchst entwickelten Gattung<br />
organischen Lebens sind; aber diese gleichen Erkenntnisformen versagen, sobald wir<br />
nicht mehr fragen: Was sind wir, sondern: Wer sind wir. Dies Versa gen ist der eigentliche<br />
Grund, warum die Versuche, das Wesen des Menschen zu bestimmen, zumeist mit<br />
irgendwelchen Kon struktionen eines Göttlichen enden, eines Philosophengottes, der<br />
sich bei näherem Zusehen immer als eine Art Urmodell oder platonische Idee vom Menschen<br />
enthüllt. Selbstverständ lich ist die Demaskierung solch philosophischer Begriffe<br />
vom Göttlichen als eine Vergöttlichung menschlicher Fähigkeiten und Tätigkeiten kein<br />
Beweis, nicht einmal ein Argument, für die Nichtexistenz Gottes. Aber die Tatsache, daß<br />
Versuche, das Wesen des Menschen zu bestimmen, so leicht zu Vorstel lungen führen,<br />
die uns nur deshalb als ‚göttlich‘ anmuten, weil sie offenbar Übersteigerungen eines<br />
Menschlichen beinhalten, dürfte uns vielleicht doch argwöhnisch gegen den Versuch<br />
machen, das Wesen des Menschen begrifflich zu bestimmen.<br />
Andererseits können die Bedingungen menschlicher Exi stenz – das Leben selbst und<br />
die Erde, Natalität und Mortalität, Weltlichkeit und Pluralität – niemals „den Menschen“<br />
erklären oder Antwort auf die Frage geben, was und wer wir sind, und zwar aus dem<br />
einfachen Grunde, weil keine von ihnen absolut bedingt. Dies war immer die Ansicht der<br />
Philosophie im Unter schied zu den Wissenschaften, Anthropologie, Psychologie, Biologie<br />
usw., die sich auch mit dem Menschen befassen. Aber heute könnte man fast<br />
sagen, daß es wissenschaftlich erwiesen ist, daß die Menschen, wiewohl sie unter den<br />
Bedingungen der Erde leben und wahrscheinlich immer unter ihnen leben wer den, doch<br />
keineswegs im gleichen Sinne erdgebundene Kreatu ren sind wie alle anderen Lebewesen.<br />
Dankt doch die moderne Naturwissenschaft ihre außerordentlichen Triumphe dem,<br />
daß sie ihren Blickpunkt geändert hat und auf die erdgebundene Natur so blickt und sie<br />
so behandelt, als ob sie gar nicht mehr auf der Erde, sondern im Universum lokalisiert<br />
wäre, als ob es ihr gelungen wäre, den archimedischen Punkt nicht nur zu fin den, sondern<br />
sich auf ihn auch zu stellen und von ihm aus zu operieren.<br />
Fünftes Kapitel<br />
Das Handeln<br />
All sorrows can be borne if you put them into a story or tell a story about them.<br />
lsak Dinesen<br />
Nam in omni actione principaliter intenditur ab agente, sive necessitate naturae<br />
sive voluntarie agat, propriam similitudinem explicare; unde fit quod omne agens, in<br />
quantum huiusmodi, delectatur, quia, cum omne quod est appetat suum esse, ac in<br />
agendo agentis esse modammodo amplietur, sequitur de ne cessitate delectation. ...<br />
Nihil igitur agit nisi tale exi stens quale patiens fieri debet.<br />
Dante