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Human Condition - Universalmuseum Joanneum

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150 — 151<br />

Judith Butler<br />

taucht das Verbot zu trauern als eine Ein grenzung der Darstellbarkeit wieder auf, so<br />

daß unsere nationale Melancholie fest in den Rahmen eingefügt wird, der bestimmt,<br />

was gesagt werden kann, was gezeigt werden kann? Ist dies nicht der Ort, an dem wir –<br />

wenn wir das noch tun – ablesen können, wie diese Melancholie als die Begrenzung<br />

dessen, was gedacht werden kann, eingeschrieben wird? Die Derealisierung des Ver lusts –<br />

die Unempfänglichkeit für menschliches Leiden und Tod – wird zum Mechanismus, über<br />

den die Entmenschlichung erreicht wird. Diese Derealisierung findet weder im Bild noch<br />

außerhalb des Bildes statt, sondern durch die mediale Formatierung, mit der das Bild in<br />

Schach gehalten wird.<br />

In der ursprünglichen Kampagne des Kriegs gegen den Irak machte die US­Regierung<br />

ihre militärischen Heldentaten als ein überwältigendes visuelles Phänomen publik.<br />

Daß die US­Regie rung und das Militär dies als eine Strategie von „Schock und Ehr furcht“<br />

bezeichneten, deutet schon an, daß sie ein visuelles Spek takel veranstalteten, daß<br />

die Sinne betäubt und, wie das Erhabene selbst, die Denkfähigkeit ausschaltet. Diese<br />

Veranstaltung findet nicht bloß für die irakische Bevölkerung auf dem Boden statt,<br />

de ren Sinne mit diesem Spektakel fertiggemacht werden sollten, sondern auch für<br />

die Konsumenten des Kriegs, die auf CNN oder Fox angewiesen sind, das Sendenetz,<br />

das seine Kriegsberichter stattung im Fernsehen regelmäßig unterbrach, um sich<br />

mit der Behauptung einzuschalten, es sei die „zuverlässigste“ Informati onsquelle über<br />

den Krieg. Die „Schock und Ehrfurcht“­Strategie zielt nicht nur darauf ab, dem Krieg<br />

eine ästhetische Dimension zu geben, sondern die visuelle Ästhetik als Bestandteil<br />

der eigent lichen Kriegsstrategie auszubeuten und zu instrumentalisieren. CNN hat<br />

viel zu dieser visuellen Ästhetik beigetragen. Und ob gleich sich die New York Times<br />

nachträglich gegen den Krieg wandte, schmückte auch sie ihre Titelseiten täglich<br />

mit romanti schen Bildern militärischer Geschütze vor der untergehenden Abendsonne<br />

im Irak oder mit „Bombendetonationen in der Luft“ über den Straßen und Häusern<br />

von Bagdad (die, keines wegs überraschend, dem Blick entzogen sind). Es war natürlich<br />

die spektakuläre Zerstörung des World Trade Center, die als erste einen Anspruch<br />

auf die Wirkung von „Schock und Ehrfurcht“ er hob, und die USA demonstrierten<br />

dann vor aller Welt, daß sie ge nauso zerstörerisch sein können und sein werden. Die<br />

Medien ließen sich von der Erhabenheit der Zerstörung völlig faszinieren, und die<br />

Stimmen Andersdenkender und der Opposition mußten sich erst einen Weg suchen,<br />

um diese empfindungslos machende Traumfabrik anzuhalten, in der die massive<br />

Zerstörung von Men schenleben und Behausungen, von Wasserversorgung, Strom und<br />

Wärme zu einem euphorischen Zeichen wiederbelebter militäri scher Stärke der USA<br />

verarbeitet wird.<br />

Tatsächlich wurden die drastischen Bilder toter und enthaupte ter US­Soldaten im Irak<br />

und später die Fotos von Kindern, die amerikanische Bomben verstümmelt und getötet<br />

hatten, von den breitenwirksamen Medien abgelehnt und durch Filmmaterial er setzt,<br />

daß stets die Sicht von oben aus der Luft einnahm, eine Luftbildansicht, deren Perspektive<br />

von staatlicher Macht errich tet und aufrechterhalten wird. Dennoch schafften<br />

es die vom Sad dam­Regime hingerichteten Körper im Augenblick ihrer journa listischen<br />

Enthüllung, auf die Titelseite der New York Times zu gelangen, weil diese Körper<br />

betrauert werden mußten. Die Em pörung über ihren Tod motiviert die Kriegsanstrengung,<br />

wäh rend sich diese auf ihre Verwaltungsphase zu bewegt, die sich sehr wenig von dem<br />

unterscheidet, was man gemeinhin „eine Beset zung“ nennt.<br />

Tragischerweise sieht es so aus, als versuchten die USA, der ge gen sie gerichteten<br />

Gewalt zuvorzukommen, indem sie selbst als erste Gewalt anwenden, doch die<br />

Gewalt, die sie fürchten, ist die Gewalt, die sie erzeugen. Ich will damit nicht sagen,<br />

daß die USA in irgendeiner ursächlichen Weise für die Angriffe auf ihre Bürger verantwortlich<br />

sind. Und ungeachtet der furchtbaren Bedingun gen, die palästinensische<br />

Selbstmordattentäter zu ihren mörderi schen Taten animieren, entlaste ich diese

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