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Human Condition - Universalmuseum Joanneum

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148 — 149<br />

Judith Butler<br />

9 Zu einer ausführlichen<br />

Erörterung der Beziehung zwischen<br />

dem medialen Bild und dem<br />

menschlichen Leiden siehe den<br />

provokanten Text von Susan<br />

Sontag, Die Leiden anderer<br />

betrachten, übers. von Reinhard<br />

Kaiser, München: Hanser 2003.<br />

10 Zu einer Erörterung des<br />

„ Scheiterns“ als grundlegend für<br />

eine psychoana lytische Konzeption<br />

der Psyche siehe Jacqueline<br />

Rose, Sexuality in the Field<br />

of Vision, London: Verso 1986,<br />

S. 91 ff.; dt. Sexualität im Feld der<br />

Anschauung, Wien: Turia & Kant<br />

1996.<br />

sondern sie muß ihr Scheitern zudem noch zeigen. Es gibt etwas Nichtdarstellbares,<br />

das wir dennoch darzustellen versuchen, und dieses Paradox muß in der Darstel lung,<br />

die wir geben, beibehalten werden.<br />

In diesem Sinne wird das Menschliche nicht mit dem gleichge setzt, was dargestellt<br />

wird, es wird aber auch nicht dem Nichtdar stellbaren gleichgesetzt; es ist vielmehr<br />

das, was das Gelingen ei ner jeden darstellenden Praktik beschränkt. Das Gesicht wird<br />

bei diesem Scheitern der Darstellung nicht „ausgelöscht“, sondern wird eben in dieser<br />

Möglichkeit geschaffen. Etwas vollkommen anderes passiert allerdings dann, wenn<br />

das Gesicht im Dienst ei ner Personifizierung wirksam ist, die beansprucht, den fraglichen<br />

Menschen „einzufangen“. Für Lévinas läßt sich das Menschliche nicht durch<br />

die Darstellung einfangen, und wir können beobach ten, daß ein gewisser Verlust des<br />

Menschlichen stattfindet, wenn es von dem Bild „eingefangen“ wird.9<br />

Ein Beispiel für ein derartiges „Einfangen“ ist dann gegeben, wenn das Böse durch<br />

das Gesicht personifiziert wird. Da wird eine bestimmte Entsprechung zwischen<br />

dem angeblich Bösen und dem Gesicht behauptet. Dieses Gesicht ist böse, und das<br />

Böse, das das Gesicht ist, weitet sich aus zu dem Bösen, das den Menschen insgesamt<br />

zukommt – dem verallgemeinerten Bösen. Wir personifizieren das Böse oder<br />

den militärischen Triumph durch ein Gesicht, das die Idee, für die es steht, sein soll,<br />

ein fangen soll, enthalten soll. In diesem Fall können wir das Gesicht nicht durch das<br />

Gesicht hören. Das Gesicht maskiert hier die Laute des menschlichen Leidens und<br />

die Nähe, die wir zur Gefährdetheit des Lebens selbst einnehmen könnten.<br />

Das Gesicht dort drüben, dessen Bedeutung so hingestellt wird, als sei es vom Bösen<br />

ergriffen, ist jedoch genau das Gesicht, das nicht menschlich ist, nicht im Lévinasschen<br />

Sinne menschlich. Das „Ich“, das dieses Gesicht betrachtet, wird nicht damit identifiziert:<br />

Das Gesicht stellt das dar, womit keine Identifizierung möglich ist, eine Vollendung<br />

der Entmenschlichung und eine Be dingung für Gewalt.<br />

Eine vollständigere Ausarbeitung dieses Themas müßte natür lich die unterschiedlichen<br />

Mittel genauer analysieren, mit denen diese Darstellung im Hinblick auf Vermenschlichung<br />

und Ent menschlichung arbeitet. Manchmal gibt es triumphale Bilder, die uns<br />

eine Idee des Menschlichen vermitteln, mit dem wir uns iden tifizieren sollen, beispielsweise<br />

mit dem patriotischen Helden, der unsere eigenen Ich­Grenzen ekstatisch auf<br />

die der Nation ausweitet. Ohne Berücksichtigung der Bedingungen und Bedeu tungen<br />

von Identifikation und Gegenidentifikation kann das Ver hältnis zwischen Bild und<br />

Vermenschlichung nicht wirklich verstanden werden. Man muß allerdings beachten,<br />

daß die Iden tifizierung immer auf einer Differenz beruht, die sie überwinden will, und<br />

daß ihr Ziel nur erreicht wird, indem die Differenz wie dereingeführt wird, die überwunden<br />

zu haben sie beansprucht. Die Person, mit der ich mich identifiziere, bin nicht<br />

ich, und das „nicht ich sein“ ist die Voraussetzung für die Identifikation. An dernfalls,<br />

daran erinnert uns Jacqueline Rose, fällt die Identifika tion mit der Identität zusammen,<br />

und das bedeutet den Tod der Identifikation selbst.10 Diese interne Differenz in<br />

der Identifizie rung ist entscheidend und zeigt uns gewissermaßen, daß die Gegenidentifizierung<br />

Bestandteil des gewöhnlichen Identifizie rungsvorgangs ist. Das<br />

triumphale Bild kann dem Betrachter eine unmögliche Überwindung dieser Differenz<br />

vermitteln, einen Typ von Identifikation, der meint, daß er die Differenz überwunden<br />

hat, welche die Bedingung seiner Möglichkeit ist. Das kritische Bild, wenn wir so<br />

reden können, verarbeitet diese Differenz in derselben Weise wie das Lévinassche Bild;<br />

es muß nicht nur daran scheitern, seinen Referenten einzufangen, sondern dieses<br />

Schei tern auch zeigen.<br />

Die Forderung nach einem wahrhaftigeren Bild, nach mehr Bildern, nach Bildern,<br />

die den ganzen Schrecken und die Wirk lichkeit des Leidens übermitteln, ist wichtig<br />

und angebracht. Die Tilgung dieses Leidens durch das Verbot von Bildern und Darstellungen<br />

grenzt allgemeiner betrachtet die Sphäre des Erschei nens ein, den Bereich

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