Nr. 49, Mai - DS-InfoCenter
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GENETIK<br />
Der Einfluss pränataler Diagnostik und<br />
selektiven Fetozids auf die Inzidenz von<br />
Menschen mit angeborener Behinderung<br />
Wolfgang Lenhard, Institut für Sonderpädagogik, Universität Würzburg<br />
Zusammenfassung: Untersucht wird der Zusammenhang zwischen pränataldiagnostischen<br />
Untersuchungen und der Inzidenz von Kindern mit angeborenen Behinderungen.<br />
In den letzten 15 Jahren stieg die Anzahl vorgeburtlicher Untersuchungen stark<br />
an. Etwa 10 Prozent der Schwangeren durchlaufen invasive Diagnostika.<br />
Die gesamte Erkennungsrate für Föten mit Trisomie 21 liegt bei ca. 72 Prozent. Eine<br />
metaanalytische Auswertung von 20 Studien zeigte, dass 90 Prozent der Frauen im<br />
Falle eines positiven Trisomie-21-Befundes die Schwangerschaft beenden, was<br />
verglichen mit anderen Behinderungsformen die höchste Abbruchrate darstellt.<br />
Die Daten deuten auf eine Zunahme selektiven Aborts hin.<br />
Mittelfristig werden die Weiterentwicklung pränataler Untersuchungen, deren steigende<br />
Akzeptanz und die hohe Abortrate die Zusammensetzung der Schülerschaft an<br />
Förderschulen deutlich verändern. Im Vergleich zum Beginn der 70-er Jahre hat sich<br />
der Anteil von Kindern mit Down-Syndrom bereits etwa halbiert.<br />
Problem<br />
Die Auswirkung pränataler Untersuchungen<br />
auf die Inzidenz von Kindern<br />
mit angeborenen Behinderungen, insbesondere<br />
von Kindern mit Down-Syndrom,<br />
wird derzeit kontrovers diskutiert.<br />
Kritiker der Pränataldiagnostik gehen<br />
davon aus, dass hierdurch immer<br />
weniger Kinder mit Down-Syndrom zur<br />
Welt kommen (Bonfranchi, 1996; Wilken,<br />
2002). Dem gegenüber argumentieren<br />
Befürworter, dass aufgrund der<br />
Zunahme mütterlichen Alters eher<br />
mehr Kinder mit Chromosomenanomalien<br />
geboren werden und diese Zunahme<br />
mittels selektiven Aborts nach positivem<br />
Befund lediglich „ausgeglichen“<br />
wird (Binkert, Mutter & Schinzel, 2002;<br />
Cornel, Breed, Beekhuis, te Meerman &<br />
ten Kate, 1993).<br />
Die Fragestellung, ob pränataldiagnostische<br />
Untersuchungen zu einer Reduktion<br />
der Inzidenz insbesondere von<br />
10 Leben mit Down-Syndrom <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>, <strong>Mai</strong> 2005<br />
Kindern mit Down-Syndrom führen, ist<br />
allerdings nicht leicht zu beantworten.<br />
Da kein zentrales Register für die Anzahl<br />
an Geburten von Kindern mit Trisomie<br />
21 existiert, muss die tatsächliche<br />
Entwicklung auf der Basis verschiedener<br />
Faktoren erschlossen werden: Wie<br />
häufig finden pränatale Untersuchungen<br />
statt, wie entwickelt sich die Präzision<br />
pränataler Untersuchung und wie<br />
häufig werden Schwangerschaften nach<br />
einem positiven Befund beendet?<br />
Häufigkeit der Anwendung<br />
pränataler Untersuchungen<br />
im Zeitraum 1987 – 2002<br />
Betrachtet man die Schwangerschaftsstatistiken<br />
seit den 80-er Jahren, so ist<br />
eine kontinuierliche Zunahme des Anteils<br />
von Risikoschwangerschaften zu<br />
verzeichnen. Eine Schwangerschaft wird<br />
dann als Risikoschwangerschaft eingestuft,<br />
wenn entweder ein anamnesti-<br />
sches oder ein befundetes Risiko vorliegt.<br />
Zu den anamnestischen Risiken<br />
zählen ein Alter der Frau über 35, mehr<br />
als ein Schwangerschaftsabbruch in der<br />
Vorgeschichte, ein Kaiserschnitt bei der<br />
letzten Geburt oder eine Erkrankung<br />
der Schwangeren an Diabetes mellitus.<br />
Ein befundetes Risiko wird festgestellt,<br />
wenn eine Plazentainsuffizienz oder eine<br />
Lageanomalie vorliegt oder wenn vorzeitig<br />
Wehen einsetzen. Darüber hinaus<br />
wird eine Reihe von Schwangerschaften<br />
als Risikoschwangerschaft eingestuft,<br />
ohne dass das Risiko näher spezifiziert<br />
wird.<br />
Bezogen auf Bayern nahm der Anteil<br />
an Risikoschwangerschaften von 1987<br />
bis 2002 von 55 % auf 65 % zu (Bayerische<br />
Arbeitsgemeinschaft zur Qualitätskontrolle<br />
im Gesundheitswesen BAQ,<br />
1988 – 2003, siehe Abbildung 1).<br />
In anderen Bundesländern liegt der<br />
Anteil an Risikoschwangerschaften so-