Nr. 49, Mai - DS-InfoCenter
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3. Irrwege<br />
Wer nun meint, das Problem durch<br />
Nichtstun lösen zu können, irrt. Denn<br />
ohne Testament kommt bei unserem<br />
Tod die gesetzliche Erbfolge zum Zuge.<br />
Diese besagt, dass jedes eigene Kind Erbe<br />
des verstorbenen Elternteils wird.<br />
Mehrere Kinder bilden eine Erbengemeinschaft.<br />
Häufig wird übersehen,<br />
dass Kinder nach der gesetzlichen Erbfolge<br />
auch dann erben, wenn ein Elternteil<br />
den anderen überlebt. In diesem<br />
Fall erben die Kinder zusammen mit<br />
dem länger lebenden Elternteil, sofern<br />
die Eltern verheiratet waren. Auf den<br />
Erbteil des geistig behinderten Kindes<br />
greift dann gegebenenfalls der Träger<br />
der Sozialhilfe zu – mit den geschilderten<br />
Konsequenzen. Nichts tun ist also<br />
der falsche Weg.<br />
Pflichtteilsanspruch<br />
Und enterben? Enterbt man ein eigenes<br />
Kind, hat dieses nach dem Tod des Elternteils<br />
einen Geldanspruch in Höhe<br />
des Wertes der Hälfte seines gesetzlichen<br />
Erbteils gegenüber den Erben.<br />
Man nennt dies den Pflichtteilsanspruch.<br />
Auch dieser Anspruch ist ein Vermögenswert,<br />
der gegebenenfalls vom<br />
Sozialhilfeträger gegen die Erben geltend<br />
gemacht wird. Auch so gelangt<br />
man nicht zum gewünschten Ziel.<br />
Auch kein Allheilmittel ist, das Vermögen<br />
zu Lebzeiten zu übertragen.<br />
Denn kaum einer kann und will auf eine<br />
ausreichende eigene wirtschaftliche Absicherung<br />
verzichten. Man muss also<br />
meist Vermögen zurückbehalten. Außerdem<br />
können solche Übertragungen wiederum<br />
zu Ansprüchen des Behinderten<br />
nach dem Tod des übertragenden Elternteils<br />
führen, auf die dann wiederum<br />
das Sozialamt zugreifen kann. In jedem<br />
Fall ist bei lebzeitigen Übertragungen<br />
Vorsicht geboten. Sie sollten nicht vorschnell<br />
und nicht ohne ausreichende<br />
rechtliche Beratung, die auch die Situation<br />
des Kindes mit Behinderung in den<br />
Blick nimmt, vorgenommen werden.<br />
4. Das Behindertentestament<br />
Tatsächlich zielführend ist in den meisten<br />
Fällen ein anderer Weg: die Abfassung<br />
eines so genannten Behindertentestaments<br />
durch die Eltern eines geistig<br />
behinderten Kindes. Das Behindertentestament<br />
versucht durch eine komplexe<br />
erbrechtliche Konstruktion dem Kind<br />
mit Behinderung einen spürbaren Zu-<br />
wachs an Lebensqualität durch eine ihm<br />
zugewandte Erbschaft zukommen zu<br />
lassen, obwohl das Kind seinen Lebensunterhalt<br />
grundsätzlich aus Sozialleistungen<br />
bestreitet. Das Behindertentestament<br />
sieht dazu eine Kombination<br />
mehrerer Schutzmechanismen vor:<br />
Das Kind wird Erbe<br />
Zunächst ist wichtig, dass das Kind mit<br />
Behinderung von jedem seiner Eltern<br />
als Erbe eingesetzt wird. Der Erbteil<br />
muss dabei unbedingt höher als die<br />
Hälfte des gesetzlichen Erbteils sein,<br />
den das Kind mit Behinderung ohne Testament<br />
erben würde. Auch das beeinträchtigte<br />
Kind wird also in angemessenem<br />
Umfang am Erbe beteiligt. Meist<br />
erbt das Kind mit Behinderung so zusammen<br />
mit dem gegebenenfalls noch<br />
vorhandenen länger lebenden Elternteil<br />
und gegebenenfalls vorhandenen weiteren<br />
Geschwistern.<br />
Nacherben einsetzen<br />
Das behinderte Kind erhält seinen Erbteil<br />
jedoch nicht zur freien Verfügung.<br />
Der Erbteil wird vielmehr bereits im Testament<br />
für die so genannten Nacherben<br />
reserviert. An diese Nacherben soll das<br />
ererbte Vermögen nach dem Tode des<br />
Kindes mit Behinderung fallen. Nacherben<br />
können beispielsweise die Geschwister<br />
des behinderten Kindes sein, deren<br />
Abkömmlinge, weitere Verwandte oder<br />
eine gemeinnützige Organisation. Wer<br />
in Frage kommt, wird im Testament<br />
festgelegt. Das behinderte Kind selbst<br />
darf als so genannter nicht befreiter<br />
Vorerbe die Substanz seiner Erbschaft<br />
nicht verbrauchen. Es erhält nur die Erträge.<br />
Erträge sind zum Beispiel Zinsen<br />
aus Sparguthaben oder Mieteinnahmen<br />
aus Immobilien. Für das Sozialamt bedeutet<br />
dies, dass es auf die Substanz der<br />
Erbschaft nicht zugreifen kann, da diese<br />
für den Erben nicht verwertbares<br />
Vermögen darstellt. Weil der Erbe selbst<br />
die Erbschaft nicht verbrauchen kann<br />
und darf, ist sie auch für das Sozialamt<br />
tabu.<br />
Testamentsvollstreckung anordnen<br />
Um nun auch die Erträge aus der Erbschaft<br />
des Kindes mit Behinderung zur<br />
Steigerung von dessen Lebensqualität<br />
zu sichern, wird im Behindertentestament<br />
zusätzlich Testamentsvollstreckung<br />
auf die Lebenszeit des Kindes angeordnet.<br />
Testamentsvollstreckung be-<br />
RECHT<br />
Die wesentlichen rechtlichen<br />
Bestandteile des Behindertentestaments<br />
auf einen Blick:<br />
Das Kind mit Behinderung wird<br />
Erbe, gegebenenfalls neben dem<br />
eventuell vorhandenen länger lebenden<br />
Ehegatten und eventuell<br />
vorhandenen Geschwistern.<br />
Der Erbteil des Kindes mit Behinderung<br />
liegt über der Hälfte seines<br />
gesetzlichen Erbteils.<br />
Das Kind mit Behinderung wird<br />
nicht befreiter Vorerbe. Nach seinem<br />
Tod fällt sein Erbteil an den<br />
oder die Nacherben.<br />
Zur Verwaltung der Erbschaft des<br />
Kindes mit Behinderung wird auf<br />
dessen Lebenszeit Testamentsvollstreckung<br />
angeordnet. Der Testamentsvollstrecker<br />
wird angewiesen,<br />
die dem Kind mit Behinderung<br />
zustehenden Erträge des<br />
Nachlasses nur für Zwecke zuzuwenden,<br />
die dem Kind mit Behinderung<br />
spürbar zugute kommen<br />
und nicht auf Sozialleistungen anrechenbar<br />
sind.<br />
deutet, dass eine vertrauenswürdige<br />
Person mit der Aufgabe betraut wird,<br />
das vom behinderten Kind ererbte Vermögen<br />
dauerhaft zu verwalten und vom<br />
übrigen Vermögen des Kindes getrennt<br />
zu halten. Dem Testamentsvollstrecker<br />
wird außerdem zur Aufgabe gemacht,<br />
die Erträge aus der Erbschaft nur für<br />
solche Zwecke zu verwenden, die dem<br />
Kind mit Behinderung spürbar zugute<br />
kommen und nach dem jeweils geltenden<br />
Sozialrecht nicht anspruchsmindernd<br />
auf Sozialleistungen angerechnet<br />
werden. Das Sozialamt muss also außen<br />
vor bleiben.<br />
Regelungen zur Lebensqualität<br />
Zur Steigerung der Lebensqualität des<br />
Kindes mit Behinderung können aufgrund<br />
dieser Regelung zum Beispiel<br />
vom Testamentsvollstrecker folgende<br />
Zuwendungen finanziert werden:<br />
Geschenke zu Festtagen,<br />
Unterstützung für Hobbys,<br />
die Finanzierung von Urlaubsaufent-<br />
Leben mit Down-Syndrom <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>, <strong>Mai</strong> 2005 55