Nr. 49, Mai - DS-InfoCenter
Nr. 49, Mai - DS-InfoCenter
Nr. 49, Mai - DS-InfoCenter
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ERWACHSENE<br />
Studenten mit Down-Syndrom an amerikanischen<br />
Colleges und Universitäten<br />
Peter Schmidt<br />
Übersetzung: Gundula Meyer-Eppler<br />
Dass junge Menschen mit Down-Syndrom in den USA ganz regulär die<br />
High School besuchen, ist uns allen schon lange bekannt. Aber nun gibt<br />
es auch die ersten Studenten mit Down-Syndrom an den Universitäten.<br />
Wie funktioniert das und kann das überhaupt funktionieren?<br />
„Ich mag meine Selbstständigkeit“<br />
Noel Thompson ist ganz begeistert von<br />
seinem neuen Leben an der Universität<br />
im US-Bundesstaat <strong>Mai</strong>ne. Er studiert<br />
Marktwirtschaft mit dem Schwerpunkt<br />
Unternehmensführung und hat ein bezahltes<br />
Praktikum in einer örtlichen<br />
Bank, wo er Büroarbeit und Werbung<br />
macht. Er beteiligt sich eifrig in einem<br />
Wohltätigkeitsverein auf dem Campus,<br />
der ein Sommer-Camp-Hospiz für todkranke<br />
Kinder organisiert. Er genießt<br />
die Freundschaften, die er am College<br />
gefunden hat, und die gelegentlichen<br />
Heimwehattacken sind halb so schlimm,<br />
sie werden durch das gute Gefühl über<br />
seine neue Selbstständigkeit wettgemacht.<br />
Das „Strive“(Streber)-Programm<br />
Seine Einstellung würde jedem Studenten<br />
Ehre machen – aber Mr. Thompson<br />
ist nicht ein x-beliebiger Student: Er hat<br />
Down-Syndrom, er ist geistig behindert.<br />
Er hat die Aufnahme am College geschafft<br />
durch seine eigenen Anstrengungen<br />
und mit der Hilfe von Strive University,<br />
einer Organisation, die seit kurzem<br />
ein Zwei-Jahres-Programm für Studenten<br />
mit geistigen Behinderungen an<br />
Universitäten und Colleges anbietet<br />
(Strive bedeutet „Streber“).<br />
Mr. Thompson sagt, dass das Programm<br />
ihm das Selbstbewusstsein gegeben<br />
hat zu überlegen, ob er später in<br />
die Werbung geht oder eventuell Diskjockey<br />
wird. Bis dahin hört er sich einige<br />
sehr interessante Vorlesungen an.<br />
„Ich möchte gern auch Physik studieren“,<br />
sagt er, „das habe ich noch nie gehabt.“<br />
Mr. Thompson ist 24 Jahre alt. Er ist<br />
einer von sechs jungen Leuten mit<br />
Down-Syndrom, die im vergangenen<br />
48 Leben mit Down-Syndrom <strong>Nr</strong>. <strong>49</strong>, <strong>Mai</strong> 2005<br />
Herbst in dem Strive-Programm eingeschrieben<br />
wurden. Dieses Programm<br />
wurde an der Universität von Southern<br />
<strong>Mai</strong>ne begonnen, es läuft über eine gemeinnützige<br />
Organisation und richtet<br />
sich an junge Leute mit Behinderungen.<br />
Das Programm ist Teil einer neuen<br />
Bewegung, an der sich ca. 50 Colleges<br />
und Universitäten beteiligen, die weitere<br />
Bildungsmöglichkeiten für Schüler<br />
mit geistiger Behinderung nach Abschluss<br />
der High School schaffen wollen.<br />
Es ist eine Antwort auf die wachsende<br />
Nachfrage und trotz der relativ hohen<br />
Kosten und obwohl diese neue Aufgabe<br />
nicht zu den traditionellen Aufgaben<br />
von Hochschulen gehört, werden laufend<br />
weitere Möglichkeiten geschaffen.<br />
Zusammenarbeit mit der ND<strong>DS</strong><br />
Die N<strong>DS</strong>S (National Down Syndrome Society)<br />
arbeitet mit öffentlichen und privaten<br />
Colleges in New Jersey zusammen,<br />
um ein Modell herauszuarbeiten,<br />
das Bildungsmaßnahmen anbietet für<br />
18- bis 25-Jährige mit geistigen Behinderungen.<br />
„Es gibt großes Interesse an<br />
unserem Programm“, betont die Direktorin.<br />
„Es reflektiert den enormen Anstieg<br />
der Erwartungen, die Eltern von<br />
geistig behinderten Kindern haben. Ich<br />
glaube, es spiegelt den gesamten Fortschritt<br />
in der Erziehung dieser Kinder<br />
wider.“<br />
Kritiker und Befürworter<br />
Kritiker des Programms stellen in Frage,<br />
ob Menschen mit geistiger Behinderung<br />
überhaupt ein Diplom erwerben<br />
können, trotz der intensiven Unterstützung,<br />
die diese Studenten erfahren, und<br />
trotz der zusätzlichen mühevollen Jahre,<br />
die oft benötigt werden. Viele Ver-<br />
antwortliche an den Universitäten weigern<br />
sich, ihre Angebote und Kurse zu<br />
modifizieren und den Bedürfnissen von<br />
geistig Behinderten in irgendeiner Weise<br />
anzupassen.<br />
Befürworter des Programms räumen<br />
ein, dass Menschen mit geistigen<br />
Behinderungen ihre Grenzen haben.<br />
Aber da Colleges und Universitäten sowieso<br />
einen großen Anteil an Studenten<br />
haben, die völlig unrealistische akademische<br />
Vorstellungen oder Karriereansprüche<br />
haben, sagen sie, dass es nur<br />
logisch sei, dass man auch Menschen<br />
mit geistiger Behinderung selber ihre<br />
Grenzen erfahren lassen sollte und nicht<br />
von vornherein verhindern soll, dass sie<br />
es überhaupt versuchen.<br />
„Menschen mit geistiger Behinderung<br />
wollen mehr als das, was bislang<br />
erreichbar war“, sagt Stephanie Smith<br />
Lee, Direktorin im Bildungsministerium<br />
für Sonderpädagogik, die selber eine<br />
Tochter mit Down-Syndrom hat. „Sie<br />
haben größere Träume als früher.“<br />
Kein Leben in Armut<br />
Nur ein sehr kleiner Prozentsatz von Erwachsenen<br />
mit geistiger Behinderung<br />
hat bis jetzt Zugang zu Colleges oder<br />
Universitäten. Für die meisten endet das<br />
öffentliche Bildungssystem mit 21,<br />
wenn die normale integrative High<br />
School beendet ist. Die Arbeitsauswahl<br />
ist begrenzt; Behinderten-Werkstätten<br />
oder niedrig bezahlte ungelernte Arbeiten<br />
als Raumpfleger, Gärtner oder in der<br />
Fast-Food-Industrie schränken die beruflichen<br />
Möglichkeiten stark ein und<br />
verurteilen diese Menschen zu einem<br />
Leben in Armut.<br />
Viele Eltern machen sich ernste Sorgen<br />
über die Zukunft ihrer Kinder. Sie