PDF-Datei - Religiosophie
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12<br />
Verantwortung des Einzelnen im Hören aus dem Ganzen der Wirklichkeit“ (S.<br />
71).<br />
(18) Der vorstehend dargestellte, durch philosophische Erkenntnis gewonnene Glaube ist<br />
eine Religion im Sinne der Definition in Textziffer (1). Hier kommt es darauf an, sorgsam<br />
auf die Stimme Gottes zu achten, auch wenn man nur in seltenen hohen Augenblicken<br />
damit rechnen kann, sie zu vernehmen.<br />
Die Religionen der Erkenntnis sind ehrlich und aufrichtig. Jaspers und die anderen in<br />
ähnlicher Weise über Gott denkenden Philosophen machen keinen Hehl daraus, dass sie<br />
im Irrtum sein könnten und ihr Glaube daher von Zweifeln begleitet wird. Ferner<br />
verzichten Sie darauf, sich den Gott ihrer Erkenntnis in Einzelheiten auszumalen, sich ein<br />
Bild von ihm zu machen, weil sie einräumen müssen, nichts von ihm zu wissen; er hat<br />
sich ihnen ja nicht offenbart. Sie glauben lediglich, das Wirken eines irgendwie gearteten<br />
höheren Wesens zu spüren.<br />
Wenn man Jaspers gefragt hätte, ob die innere Stimme, die in bestimmten Situationen<br />
zu ihm spricht und die er für Gottes Stimme hält, nicht auch die Reflektion seiner<br />
eigenen Gedanken im Zusammenwirken mit all dem, was er bisher im Leben erfahren<br />
hat und was auf ihn eingewirkt hat, sein könne, würde er wohl antworten: „Dieses<br />
könnte so sein“. Mit dieser Frage ist es halt, wie mit allem in der Philosophie: Die<br />
gewonnen Erkenntnisse können wahr oder auch falsch sein.<br />
(19) Ergänzend weise ich noch darauf hin, dass es keine Äußerung von Jaspers gibt, aus<br />
der geschlossen werden könnte, dass er an ein Leben nach dem Tode und ein göttliches<br />
Gericht geglaubt hätte, beides alte Fragen der Philosophie. Wie dem auch sei, wichtig ist,<br />
dass der Glaube für Jaspers primär dazu diente, hier auf Erden durch ein anderes<br />
Selbstbewusstsein zu einer höheren Stufe des Menschseins zu gelangen. Ähnlich verhält<br />
es sich beim Buddhismus, den ich ebenfalls zu den Religionen der Erkenntnis zähle, da<br />
er, wenigstens in seiner ursprünglichen Form, auf philosophischer Grundlage beruht.<br />
Anhang: Der Gottesgedanke<br />
(20) Warum hat sich die Menschheit seit jeher mit dem Phänomen Gott befasst? Ich<br />
denke aus dem Wunsch heraus, ein Leben in Geborgenheit, Harmonie und frei von<br />
Ängsten, Kummer, Leid, Schmerz und Not zu führen. Ein solches Leben kann nur eine<br />
mächtige und uns wohl gesonnene Persönlichkeit richten. Die Sehnsucht richtet sich also<br />
auf eine solche Persönlichkeit, deren Führung man sich gerne anvertraut, der man aber<br />
auch gerne begegnen möchte. Man will sie aufsuchen und sich mit ihr unterhalten<br />
können, wie ein Kind mit seinen Eltern oder ein junger Mensch mit einem erfahrenen<br />
Lehrer oder älteren Freund. Diese Wünsche finden ihren Niederschlag z. B. in der<br />
Geschichte von Adam und Eva im Paradies (vor dem Sündenfall und der Vertreibung).<br />
Solche Geschichten, die möglicherweise so oder ähnlich auch in anderen Kulturen<br />
überliefert werden, waren stets nur Mythos. Man hat einen Gott erdacht, der sein Reich<br />
im Jenseits hat und hat dem Menschen ewiges Leben verliehen, um im Anschluss an ein<br />
irdisches nicht den geschilderten Sehnsüchten der Menschen entsprechendes Leben im<br />
Jenseits ein glückseliges Leben zu erlangen. Welch schöner Gedanke, wäre da nicht das<br />
Damoklesschwert eines längeren Aufenthalts im Fegefeuer oder gar der ewigen<br />
Verdammnis.