03.09.2013 Aufrufe

PDF-Datei - Religiosophie

PDF-Datei - Religiosophie

PDF-Datei - Religiosophie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

41<br />

Hobbes in seinem Leviathan (I, 12): »Männer, Frauen, Vögel, Krokodile, Kälber, Hunde,<br />

Schlangen, Zwiebeln und Lauch wurden zu Göttern gemacht.«<br />

Und die Motive für solch verschwenderische Phantasiebildungen sind auch in keiner<br />

Weise geheimnisvoll. In der menschlichen Psyche gibt es breiten Raum für Infantilismus,<br />

für Irrationalität, für Panik und Erschütterung durch Schuld. Millionen im<br />

wissenschaftlichtechnischen Westen lassen sich in ihren täglichen Angelegenheiten von<br />

Astrologie leiten. Stehen am Dreizehnten des Monats morgens nicht auf, ohne<br />

andeutungsweise zu exorzistischen Maßnahmen Zuflucht zu nehmen. Betrachten<br />

schwarze Katzen als irgendwie höllisch und zittern vor Gewittern. Wir befinden uns<br />

immer noch in der Kinderstube potentieller Evolution. Man sehnt sich nach dem<br />

Kindermädchen und fürchtet es zugleich. Der Gedanke an kosmische Einsamkeit, die<br />

zugegebenermaßen der Intuition zuwiderlaufende Hypothese einer vollkommen<br />

aleatorischen, »sinnlosen« natürlichen Ordnung (»sinnlos« in bezug auf eine Handvoll<br />

von Hominiden in einer zufälligen Ecke einer durchschnittlichen Galaxis) sind für eine<br />

große Mehrheit von uns unerträglich. Wir verlangen nach einem Zeugen, selbst wenn er<br />

hart ins Gericht geht, für unseren kleinen Dreck. In Krankheit, in psychischem oder<br />

materiellem Entsetzen, wenn unsere Kinder tot vor unseren Augen liegen, schreien wir<br />

auf. Dass ein solcher Schrei im Nichts widerhallt, dass er ein völlig natürlicher, ja<br />

therapeutischer Reflex ist, aber nicht mehr, lässt sich fast nicht ertragen. Ohne Frage<br />

bringen der Glaube an die Wiederauferstehung von Elvis Presley oder Gebete an seiner<br />

neonbeleuchteten Grabstätte seinen Gläubigen Tröstung und rosarote Hoffnungen.<br />

Weltlich betrachtet, haben die organisierten Religionen viel zu den Schrecken der<br />

Geschichte beizutragen gehabt. Unzählige<br />

2O8<br />

Generationen, ethnische Gemeinschaften, soziale Gruppen sind im Namen dogmatischer<br />

Ansprüche gejagt, versklavt, massakriert oder zwangsbekehrt worden. Ein<br />

verschlungener, aber unübersehbarer Weg windet sich von den mittelalterlichen<br />

Pogromen bis zu den Todeslagern der Nazis. Der Islam hat seit seinen Anfängen<br />

umgebracht. Es ist eine banale Beobachtung, dass Religionskriege und die Ausrottung<br />

von Häresie mittels Kreuzzügen zu den grausamsten und kostspieligsten gehört haben,<br />

die wir kennen. Gegenwärtig toben, ob in Nordirland oder in Bosnien, im Nahen Osten<br />

oder in Indonesien, religiös-ideologische Konflikte. Der Atheismus kennt keine Ketzer,<br />

keine »heiligen Kriege« (ein obszöner Ausdruck). Nichts aus dem Innern seiner privaten,<br />

nichtinstitutionalisierten Struktur verlangt nach Hass. Von seinem Wesen her braucht er<br />

nicht auf Bekehrung aus zu sein. Solch seltene Beispiele eines »Zwangsatheismus« wie<br />

im stalinistischen Programm sind eine direkte Imitation, eine schwachsinnige Parodie der<br />

Staatskirche. Es lässt sich überdies nicht beweisen, dass das Verhalten des Gläubigen,<br />

der unter dem Druck religiöser Sanktionen und Belohnungen steht, das des Atheisten<br />

oder des agnostischen Humanisten übertrifft. Gier und Heuchelei gedeihen in<br />

Gesellschaften, die von der Synagoge, der Kirche oder der Moschee beherrscht werden.<br />

Anstand und Moral, die man sich selbst auferlegt, die man selbst hervorgebracht hat,<br />

sind auch säkulare Werte. So gibt, ein berühmter Fall, Iwan Karamasow, als er Zeuge<br />

wird, wie Gott nicht eingreift, als ein unschuldiges Kind zu Tode gepeitscht wird (ein<br />

alltägliches, tausendfach vorkommendes Geschehen), Gott seine »Eintrittskarte« zurück.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!