PDF-Datei - Religiosophie
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mehr zur Verfügung stehen. An diesem Punkt gelte es, allein aus unserem Gefühl für das<br />
Richtige oder Falsche heraus eine Basisentscheidung zu treffen. Ich denke, dass der<br />
Einzelne in den genannten Grenzsituationen auch nur nach diesem Gefühl entscheiden<br />
kann.<br />
Natürliche Glaubensgrundsätze<br />
(29) Hierunter verstehe ich die auf die irdischen Gegebenheiten gerichteten<br />
Überzeugungen. Die in Abschnitt 22 dargestellten Grundüberzeugungen des Dalai Lama<br />
sind offenbar Bestandteil der buddhistischen Lebenstechniken. Der erste Satz enthält<br />
eine Aussage über den Sinn des Lebens. Die katholische Kirche sieht den Sinn des<br />
Lebens ausschließlich in der Erfüllung der Gebote und Verbote Gottes, auch in der<br />
demütigen Hinnahme von Leid, das uns Gott schickt. Der Dalai Lama ist mit Aristoteles<br />
und anderen Philosophen der Überzeugung, der Sinn bestehe in dem Streben nach Glück<br />
oder wenigstens nach Zufriedenheit. Ich möchte, nicht zuletzt wegen der dem deutschen<br />
Begriff Sinn anhaftenden Vieldeutigkeit und Unschärfe, die hinter dieser Frage stehende<br />
Suche des Menschen etwas anders angehen und dabei zunächst weiter ausholen. Eine<br />
der wichtigsten Fragen, mit denen sich die Philosophie seit Schopenhauer beschäftigt,<br />
lautet: Warum ist überhaupt etwas (und jemand) und nicht vielmehr nichts (und<br />
niemand)? Die Frage nach dem warum ist schlechterdings nicht beantwortbar. Wer eine<br />
Antwort sucht, könnte fragen: Wäre es nicht besser, es gäbe nichts als das, was ist?<br />
(ausführlich hierzu Ludger Lütkehaus, Nichts) Betrachtet man das ganze Leid und<br />
Unrecht dieser Welt, könnte man diese Frage durchaus bejahen (vgl. auch Abschnitt 38,<br />
2. Absatz). In der altgriechischen Midassage verrät ein Halbgott dem König, was die<br />
Menschen eigentlich nicht erfahren sollten: „Das Allerbeste für sie wäre nicht geboren<br />
worden zu sein, nicht zu sein, nichts zu sein; das Zweitbeste ... bald zu sterben.“ Nach<br />
Nietzsche ist das Leben des Einzelnen wie das Fortleben der Gattung „im Grunde Trieb,<br />
Instinkt, Torheit, Grundlosigkeit“ (III 371). Zuvor hatte bereits Schopenhauer von der<br />
„Grundlosigkeit des blinden Lebenswillens“ gesprochen. Wie dem auch sei, wir sind<br />
jedenfalls in eine höchst unvollkommene Welt hinein geworfen – ohne dass wir vorher<br />
hätten gefragt werden können. Manche Philosophen sprechen vom Diktat der Geburt.<br />
Selbst wenn wir es als besser ansähen, es gäbe nichts und auch uns nicht, an der<br />
Tatsache der Existenz der Welt und unserer Geburt können wir nichts ändern. Vor<br />
diesem Hintergrund glaube ich, dass wir die Aufgabe haben, das Beste aus der<br />
gegebenen Situation zu machen. Die Frage lautet, was sollen, müssen oder können wir<br />
tun, um zu einem erfüllten, bejahenswerten oder doch wenigstens einem im Großen<br />
und Ganzen zufriedenstellenden Leben zu gelangen? Hierzu weist uns die Philosophie,<br />
deren eigentlicher Bereich seit jeher die Lehre vom richtigen Leben ist (Theodor W.<br />
Adorno, Minima Moralia), den Weg. Nach Sokrates ist das ungeprüfte Leben seinen Preis<br />
nicht wert. Daraus ergibt sich das Postulat, das Leben nicht einfach unreflektiert und<br />
unbewusst dahin ziehen zu lassen sondern die für uns wichtigen Fragen des Lebens zu<br />
prüfen, um schließlich zu einer im Rahmen der gegebenen Bedingungen möglichst<br />
weitgehenden autonomen Lebensführung zu gelangen, die auf das formulierte Ziel, so<br />
wie das einzelne Individuum es versteht, seinen Lebenshorizont, ausgerichtet ist. Es ist<br />
das Anliegen der Philosophie der Lebenskunst, uns bei dieser Arbeit, die wie immer in<br />
der Philosophie ein Unterwegssein ist, insbesondere durch theoretische Reflektion über<br />
die Bedingungen und Möglichkeiten eines gekonnten Lebensvollzugs zu unterstützen.