PDF-Datei - Religiosophie
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islamischen Philosophen an, weil vom 13. Jh. an freies Denken im Islam nicht mehr<br />
geduldet wurde und auch heute nicht geduldet wird.<br />
Lippstadt, im Februar 2006 (Überarbeitung 17.10.2006 und 10.1.2010)<br />
GISBERT KÖNIG<br />
Anhang: Auszug aus<br />
Georg Steiner<br />
Errata, Bilanz eines Lebens<br />
206<br />
40<br />
Wie es immer der Fall war, ist die Theodizee die Crux. Wenn Gott ist, weshalb duldet er<br />
die himmelschreienden Schrecken und Ungerechtigkeiten der menschlichen Lage? Er<br />
mag ein bösartiger Potentat sein, der Männer, Frauen und Kinder foltert, demütigt,<br />
verhungern lässt und umbringt »wie müß'ge Knaben Fliegen«. Er mag eine Gottheit mit<br />
beschränkten oder erschöpften Kräften sein. Auch wenn dies der Subtext meiner<br />
literarischen Arbeiten gewesen ist, grenzt die Vorstellung von einem gelähmten oder<br />
machtlosen Gott ans Absurde. Seit undenklichen Zeiten haben Versuche, »Seine Wege<br />
mit dem Menschen zu rechtfertigen», auf das grausame Paradoxon der Freiheit zurück<br />
gegriffen. Dem Menschen muss die Freiheit der Wahl und des Handelns zugestanden<br />
werden, einschließlich der Freiheit, anderen und sich selbst Böses zuzufügen. Wie könnte<br />
es sonst Verdienst und Verantwortlichkeit geben? Es gibt Fabeln der Entschädigung;<br />
ungerechtes leiden soll in Ewigkeit belohnt werden. Keine dieser drei Erzählungen - die<br />
diabolische, die ohnmächtige, die kompensatorische - empfiehlt sich dem Verstand, jede<br />
stellt auf ihre Weise eine Beleidigung für Intelligenz und Moral dar. Die Antwort auf die<br />
Frage, die beim Foltern und Erhängen eines verhungernden Kindes in Auschwitz gestellt<br />
wurde (»Wo ist Gott jetzt:?«, »Gott ist dieses Kind«), ist ein mehr oder weniger<br />
widerliches Beispiel für anthropomorphes Pathos.<br />
Die Argumentation vom Kreuz her, die Lehre von der Sühne durch Opfer und dem vom<br />
Menschen - Abraham und Isaak - auf den christlichen Gottvater und seinen<br />
eingeborenen Sohn übertragenen Sündenbock kann nur die Überzeugten überzeugen.<br />
Überdies war sie eine Argumentation, die der übergroßen Mehrheit der gefallenen<br />
Menschheit außerhalb des erwählten Abendlandes seltsam unzugänglich war. Kein Akt<br />
von übernatürlicher Offenbarung oder Eingreifen, keine Botschaft aus einer Sphäre<br />
jenseits des sterblichen Menschen ist je in einem empirisch oder logisch beweiskräftigen<br />
Untersuchungszusammenhang als etwas anderes erwiesen worden denn als das Produkt<br />
der menschlichen Imagination und des<br />
207<br />
menschlichen Diskurses. Der entscheidende Punkt ist so alt wie der Vorsokratiker<br />
Xenophanes: sollten Rinder einen Gott annehmen (vielleicht tun sie es), dann würde er<br />
Hörner und Hufe haben. Diese Einsicht wiederholt mit einer klaren Wut der Vernunft