PDF-Datei - Religiosophie
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Diese Erwartungshaltung in bezug auf die Religionen des Ich dürfte allerdings wenig<br />
realistisch sein. Der von Hellinger verlangte „Reinigungsprozess“ dieser Religionen findet<br />
jedenfalls nicht generell sondern allenfalls bei einzelnen Mitgliedern dieser Religionen<br />
statt.<br />
(6) Papst Johannes Paul II. hat einmal dem Buddhismus seine Eigenschaft als Religion<br />
abgesprochen, weil ihm der Glaube an einen personifizierten Gott fehle. Nach heftiger<br />
Kritik der Buddhisten hat er diese Einschätzung wieder zurückgenommen. Auch die<br />
Religion der Seele bzw. die Natürliche Religion ist kein Glaube, erst recht kein Glaube an<br />
ein überirdisches Wesen. In seiner Rede in Krakau am 18. August 2002 beklagte der<br />
Papst die „Ungläubigkeit in unserer Zeit.“ Mit Glauben dürfte er den Glauben an die<br />
Existenz Gottes gemeint haben. Folge der Ungläubigkeit sei „Angst vor der Zukunft, vor<br />
Leiden, Leere und Zerstörung.“ Mir erscheint es fraglich, ob die erwähnten Ängste vor<br />
gläubigen Katholiken halt machen. Auch solche Menschen werden erfahrungsgemäß von<br />
Unglücken, Krankheit und Not, von Naturkatastrophen und Kriegen heimgesucht. Sogar<br />
katholische Kirchen bleiben bei solchen Ereignissen nicht verschont, ebenso wenig wie<br />
Synagogen und Moscheen. Den einzigen Vorteil des Glaubens sehe ich in der Hoffnung<br />
auf ein Jenseits, in dem es keine Angst gibt und in dem man vollkommen glücklich ist,<br />
eine Hoffung, die einen die Mühsal des irdischen Lebens besser ertragen lässt, dieses<br />
aber nur, wenn der Glaube an ein solches Jenseits unerschütterlich ist. Ein Glaubender<br />
sollte sich stets dessen bewusst sein, das sein Glaube nicht auf Wissen beruht und daher<br />
auch falsch sein kann, zumal er bei einem Blick in die Welt sieht, dass es noch andere<br />
Glaubenslehren gibt und jede von sich selbst lediglich annehmen kann, die richtige zu<br />
sein.<br />
(7) Die Offenbarungsreligionen stellen ihren Gott dar als eine Persönlichkeit, die nie<br />
einen Anfang hatte und nie ein Ende haben wird, die also seit ewigen Zeiten existiert<br />
und in alle Ewigkeit existieren wird, zudem als eine Persönlichkeit, die allein Kraft ihres<br />
Wollens, gewissermaßen durch Reiben mit einem Seidentuch an einem Zauberstab, das<br />
Weltall und später das Leben auf der Erde und vielleicht auch auf anderen Planeten<br />
geschaffen hat, eine Persönlichkeit, die allwissend ist in bezug auf Vergangenheit,<br />
Gegenwart und Zukunft und die das Leben und die Handlungen eines jeden Lebewesens<br />
und sogar die Gedanken der Menschen aller Zeiten registriert und speichert. Es liegt auf<br />
der Hand, dass eine solche Persönlichkeit dem menschlichen Verstand nicht zugänglich<br />
ist. Diese Auffassung vertritt auch der mittelalterliche Kirchenlehrer Nicolaus Cusanus<br />
(1401-1464). Nach seiner Auffassung kann ein Mensch nicht über den Verstand zum<br />
Glauben gelangen. Wer sich auch nur, wenn auch noch zweifelnd, mit dem Glauben<br />
befasse, müsse schon vom Bazillus des Glaubens infiziert sein. Daraus folgt, dass kein<br />
Mensch sich mit seinem Verstand dafür entscheiden kann, die Lehren einer Religion des<br />
Ich zu glauben. Ähnlich hat sich hat sich der dänische Philosoph Sören Kierkegaard<br />
(1813-1855) geäußert: „Es ist ein Sprung, durch den der Einzelne zum Glauben kommt,<br />
ein Sprung in den Bereich jenseits aller Vernunft, ins Absurde und Paradoxe. "Ich<br />
wage die Behauptung, dass sich die These von Nikolaus Cusanus umkehren lässt: Ein<br />
Nichtglaubender kann zwar nicht über den Verstand zum Glauben gelangen, wohl kann<br />
ein Glaubender über den Verstand dazu kommen, seinen Glauben aufzugeben.<br />
Diejenigen, die sich zu einer der Religionen des Ich bekennen, wurden zum weitaus<br />
überwiegenden Teil in diese Religionen hineingeboren. Sie setzen, vielfach unter<br />
staatlichem Schutz, Gewohnheiten fort. Ein kleiner Teil mag von der einen dieser