PDF-Datei - Religiosophie
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Einleitung<br />
2<br />
"Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines<br />
anderen zu bedienen. ... Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer<br />
Teil der Menschheit ... gerne zeitlebens unmündig bleibt und warum es anderen so leicht<br />
wird, sich zu deren Vormünder aufzuwerfen. Es ist so bequem unmündig zu sein. ...<br />
Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, sich aus der Unmündigkeit<br />
herauszuwickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.“ (Immanuel Kant). Im<br />
Umkehrschluss kann man Menschen als mündig bezeichnen, wenn sie bereit sind, immer<br />
wieder die Zeit und die Energie aufzubringen, zu den wichtigen Fragen des Lebens durch<br />
Denkarbeit und kritische Auseinandersetzung mit den respektablen Auffassungen<br />
Anderer eigene Überzeugungen zu erarbeiten und danach ihr Leben auszurichten, auch<br />
wenn dieses Mut erfordert. Es gibt Menschen, die zwar im übrigen Leben durchaus<br />
autonom handeln, darunter auch Führungspersönlichkeiten, die jedoch in religiöser<br />
Hinsicht gedankenlos und unkritisch, nicht selten sogar buchstabengetreu, religiösen<br />
Schriften folgen, die vor Jahrtausenden unter völlig anderen gesellschaftlichen<br />
Verhältnissen entstanden und auch damals bereits in erster Linie die persönliche<br />
Meinung und die Gedanken ihrer jeweiligen Verfasser wiedergaben, und sich willig von<br />
mitunter engstirnigen und rückwärtsgewandten Religionsfunktionären leiten lassen.<br />
Die meisten Menschen werden in eine organisierte Religion hineingeboren. Als Kinder<br />
stellen sie sie kaum jemals in Frage. Wenn sie aber erwachsen geworden sind, ist es an<br />
der Zeit, sich kritisch mit der zunächst reflektionslos übernommenen Religion<br />
auseinander zu setzen. Dieses gelingt am besten, wenn man versucht, eine Position<br />
außerhalb dieser Religion einzunehmen, sich mit ihr also wie ein unvoreingenommener<br />
Außenstehender zu befassen, so wie man es eo ipso mit anderen Religionen und<br />
religiösen Vorstellungen macht. Das Ergebnis könnte sein, dass man bei seiner<br />
Kindheitsreligion bleibt, entweder in allen Einzelheiten, die die maßgebenden<br />
Religionsfunktionäre unterrichten, oder mit individuellen Abwandlungen, dass man zu<br />
einer anderen (organisierten) Religion übertritt, ohne oder mit Abwandlungen, oder<br />
seine eigene Religion entwickelt. Im erstgenannten Fall (Beibehaltung ohne<br />
Änderungen) unterscheidet man sich von den Kindern und den unmündigen<br />
Erwachsenen dadurch, dass man nicht aus Gedankenlosigkeit oder Bequemlichkeit in der<br />
durch die Eltern vorbestimmten Religion verharrt, sondern weil man sich selbst diese<br />
Religion neu erarbeitet hat und sich aufgrund dessen voll und bewusst mit ihr<br />
identifiziert. Indessen halte ich diesen Fall eher für unwahrscheinlich. Ein mündiger<br />
Katholik z. B. würde wahrscheinlich nicht an die „unbefleckte“ Empfängnis und die<br />
Himmelfahrt Mariens glauben wollen, desgleichen nicht an die Unfehlbarkeit der Päpste<br />
und würde wohl kaum die Einstellung der Kurie zu Fragen der Sexualität und der<br />
Geburtenkontrolle übernehmen.<br />
Nach Auffassung des Dalai Lama benötigen wir eine Vielzahl von Religionen; im<br />
Grunde genommen brauche jeder Mensch seine eigene Religion, und zwar eine<br />
solche, die seiner geistigen Veranlagung, seiner natürlichen Neigung und seinem<br />
kulturellen Hintergrund am besten entspricht.<br />
Auf der gleichen Linie liegt Hermann Hesse. Bei der Suche nach dem für ihn richtigen<br />
spirituellen Pfad begegnet Siddhartha mit seinem Freund Govinda Buddha. Nachdem sie