PDF-Datei - Religiosophie
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Wie ist es zu erklären, dass die meisten Menschen, die einigermaßen ernsthaft als<br />
religiös betrachtet werden können, sich zu solchen Religionen bekennen, Religionen, bei<br />
denen es sich – im Lichte analysierenden Verstandes - ganz offensichtlich um von<br />
Menschenhand gefertigte Konglomerate aus Mythen, Wunschvorstellungen, naiven<br />
Phantasien, Geiser- und Dämonenglauben und archaischen Lebensvorstellungen handelt,<br />
vielfach in Verbindung mit Regelwerken und Mechanismen, die den<br />
Religionsfunktionären Geltung und Macht über viele Menschen sichern, Macht, die sich<br />
nicht selten auf Leib und Leben der betreffenden Religionsangehörigen erstreckt und<br />
darüber hinaus auch noch auf das Schicksal in einem angenommenen jenseitigen Leben<br />
(„Wem Ihr die Sünden behalten werdet, dem sind sie behalten“, er kommt also in die<br />
„Hölle“)?<br />
a) Religionen der Erkenntnis zu anspruchsvoll für die breite Masse<br />
„Für die meisten Frommen viel zu anspruchsvoll“, schreibt der Stern über den<br />
Buddhismus. Dieses gilt in gleicher Weise für die anderen Religionen der Erkenntnis. Die<br />
einfachen Menschen wollen Götter, und zwar solche zum Anfassen und zum Anbeten.<br />
Sie wollen auch Wunder erleben (oder wenigstens von solchen hören), und sie wollen<br />
Zeremonien, Mysterien und das ganze Brimborium, mit dem die Religionen des Ich sich<br />
umgeben.<br />
Einer der großen arabischen Philosophen des Mittelalters, Ibn Roschd, latinisiert Averroes<br />
(1126-1198), verstand das Verhältnis von Philosophie und Religion so, „dass die höhere<br />
und reine Wahrheit, die der Philosoph in seiner Philosophie erkennt, in der Religion in<br />
einer bildhaften Einkleidung erscheint, die dem schwachen Verstand der Menge<br />
angepasst ist“ (Störig, S. 279). Im gleichen Sinne hatte sich bereits 1100 Jahre früher<br />
Seneca geäußert. Nietzsche formulierte, Religion sei Platonismus für`s Volk. Averroes<br />
selbst, obwohl dem Islam zugehörig, glaubte wie sein hoch geschätztes Vorbild<br />
Aristoteles und sein großer Vorgänger Ibn Sina, latinisiert Avicenna (980-1037), an einen<br />
gedachten Gott; Allah war die bildhafte Einkleidung für die Menge. Die einfachen<br />
Menschen brauchen Bilder, um das Leben zu verstehen. Die aus philosophischen<br />
Reflektionen gewonnenen Religionen erreichen die Köpfe einer geistigen Aristokratie<br />
(Stern), nicht die Herzen der Frommen. Daher gilt: Die Verbreitung einer Religion<br />
steht im reziproken Verhältnis zu ihren intellektellen Anforderungen.<br />
b) Herdentrieb, gesellschaftliche Zwänge<br />
Wie in Abschnitt 5 dargelegt, vermitteln die Religionen des Ich dem Einzelnen das Gefühl<br />
der Zugehörigkeit zu einer meist großen Gruppe und auch Halt und Trost. Viele ziehen<br />
die Behaglichkeit der Herde und ein beschauliches Leben einem autonom gestalteten<br />
vor, bei dem man ja von seinen Geistesgaben regen Gebrauch machen müsste. Im<br />
Übrigen ist es für viele nicht möglich, die angestammte Religion zu verlassen, ohne aus<br />
Familie und Volk verstoßen oder gar getötet zu werden.<br />
c) Gefährlichkeit unabhängigen Denkens<br />
Nicht an die Meinung der Mächtigen angepasstes Denken war schon immer gefährlich.<br />
Sokrates wurde 400 v.Chr. zum Tode verurteilt, Aristoteles und Averroes wurden gegen<br />
Ende ihres Lebens verbannt, Giordano Bruno 1600 in Rom von der katholischen Kirche