PDF-Datei - Religiosophie
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Doch es gibt gewiss nicht die Spur eines Beweises dafür, dass dem Menschen eine<br />
derartige Karte überhaupt ausgestellt wurde.<br />
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Das sind klassische Befunde. Der umfassende Charakter, die Verifizierbarkeit und die<br />
prognostische Kraft des Darwinismus haben ihr Gewicht mit in die Waagschale geworfen<br />
(auch wenn es immer noch hartnäckige Unklarheiten gibt). Während das Jahrtausend<br />
seinem Ende zugeht, liefern Kosmologie<br />
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und Astrophysik immer kohärentere, experimentell immer besser untermauerte Modelle<br />
der Schöpfung. Der Begriff des »Anfangs« gewinnt seine Mathematik. Die Frage, was<br />
»vor« den Nanosekunden des Urknalls kam, ist Un-Sinn. Mit einer Argumentation, die<br />
unheimlich an Augustinus erinnert, postulieren Kosmologen, dass die Zeit selbst erst<br />
zusammen mit ihrem zugehörigen Kosmos ins Sein tritt - und davon gibt es aller<br />
Wahrscheinlichkeit nach eine unbegrenzte Vielzahl, jeder von ihnen mit seinen eigenen<br />
raumzeitlichen Koordinaten, n-dimensionalen »Strings« von Materie und Anti-Materie,<br />
und keiner durch eine besondere Schöpfung privilegiert. Wir hacken nur deshalb auf<br />
dieser Frage nach dem »Davor« herum, weil der allgemeine Ablauf des menschlichen<br />
Gehirns in einem atavistischen Sprachspiel gefangen ist. Lange Zeit nach Kopernikus<br />
halten wir an »Sonnenuntergang« und »Sonnenaufgang« fest. (Die Mondlandungen<br />
hätten die Vernunft dazu veranlassen sollen, von »Erdaufgang« und »Erduntergang« zu<br />
sprechen.)<br />
Die Erzeugung von sich selbst replizierenden Molekülen in vitro und die Manipulation der<br />
DNS zu geplanten sozio-genetischen Zielen — die Auslöschung von Erbkrankheiten, das<br />
Klonen von Armeen - sind in Reichweite. Diese Entwicklungen werden eine gründliche<br />
Revision unseres konzeptuellen Alphabets erforderlich machen. Was jahrtausendelang<br />
die Bausteine aller theologischen und teleologischen Erzählungen waren, das deistische<br />
Postulat eines universellen Entwurfs durch einen höchsten Baumeister, die Zuschreibung<br />
eines persönlichen, einzigartigen Schicksals, das wird jetzt ausgelöscht oder grundlegend<br />
neu gedacht. Was wird der ontologische Status des menschlichen Lebens, der<br />
Persönlichkeit sein, wenn diese im Laboratorium, in der computerisierten Samenbank<br />
kopiert, verbessert und kontrolliert werden?<br />
Das Bewusstsein ist immer noch ein schwer fassbares Problem. Indem sie, vielleicht<br />
ironisch, Anleihen bei einem ausrangierten Vokabular machen, bezeichnen Biochemiker,<br />
Neurophysiologen, Genetiker und klinische Psychologen das<br />
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Bewusstseinsproblem als den »Heiligen Gral«. Es stellt heutzutage das überragende Ziel<br />
ihrer Suche dar. Dafür wird man Zeit und Genie brauchen. Doch es besteht, so erklärt<br />
ein Francis Crick, keinerlei Anlass dazu, das Problem als unlösbar zu betrachten. In einer<br />
Wendung, deren aufreizende Zweideutigkeit und Arroganz Eingang in die Sprache<br />
gefunden haben, sind die Naturwissenschaften, die »Theoretiker von allem«, bald so<br />
weit, dass sie »den Geist Gottes« (Hawking) kennen. Das heißt, sie werden bald ein<br />
theoretisch-experimentelles Verständnis von dem neurochemischen Organismus haben,<br />
der aus primitivem, zeitweiligem Mangel an einer besseren Erzählung »Gott« erfand.<br />
Noch einmal Hobbes: »Außerdem riefen sie ihre eigenen Verstandeskräfte unter dem