Die Geschichte der Politischen Korrektheit - WikiMANNia
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augenscheinliche Ungleichheit auf ein Problem mit <strong>der</strong> Sprache zurück, auf die Differänz,<br />
und schließt gleich darauf, daß das Gedicht – wie jede an<strong>der</strong>e ausgedrückte Sprache auch –<br />
keine Bedeutung hat, zumindest nicht die, die man gemeinhin annehmen würde.<br />
Nachdem die Kulturkritiker die Macht dieses Denkansatzes erkannt hatten, nahmen sie ihn<br />
bereitwillig auf, weil sie darin eine Methode erkannten, die traditionellen Interpretationen<br />
literarischer Werke anzugreifen. Sie nutzten den Dekonstruktivismus, um den traditionellen<br />
Inhalt, die traditionelle Bedeutung zu entfernen und durch eine neue zu ersetzen, eben diese<br />
neue Bedeutung hineinzuinterpretieren. Und diese neue Bedeutung ist eben jene Politische<br />
<strong>Korrektheit</strong>, die unsere Gesellschaft heute überschwemmt. Nachdem zum Beispiel die<br />
traditionelle Bedeutung von „Wie ich Dich liebe?“ mit dem vorher beschriebenen Prozeß ins<br />
Wanken gebracht wurde, könnte dann ein feministischer Kritiker eben aufgrund des Fehlens<br />
einer stabilen traditionellen Interpretation auf die Idee kommen, zu behaupten, daß dieses<br />
Gedicht „in Wirklichkeit“ darüber handelt, wie Frauen im England des neunzehnten<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts dazu konditioniert worden wären, sich selbst gegenüber den Männern als<br />
zweitrangig anzusehen.<br />
Trotz daß das postmo<strong>der</strong>ne Mantra „alles ist Text“ lautet, zögerten die Kulturkritiker nicht,<br />
ihre Methoden Musik, Filme, Fernsehen und alles an<strong>der</strong>e, was ihnen unterkam,<br />
anzuwenden. Sie befanden, daß sie die Bedeutung, den Hintergrund jeglicher kultureller<br />
Phänomene entfernen, und mit den Werten jedwe<strong>der</strong> Gruppe vertauschen könnten, die<br />
ihnen hilfreich erschien. So könnten zum Beispiel homosexuelle Analysten die Wahrheit <strong>der</strong><br />
Bibel aus ihr entfernen und sie statt dessen so interpretieren, daß sie voller<br />
homophobischen Hasses sei – Gottes Wahrheit würde zertrampelt und eine „humane“<br />
politische Agenda könnte etabliert werden.<br />
<strong>Die</strong>ses Beispiel ist nun nicht einmal beson<strong>der</strong>s empörend, weil es Derridas erklärtes Ziel im<br />
Dekonstruktivismus war, die Idee von dem, was er „transzendente Bedeutung“ nannte, zu<br />
entfernen. Standardmodelle <strong>der</strong> Sprachwissenschaft arbeiten unter Beachtung des<br />
paarweisen Auftretens von Referenz und Bedeutung. <strong>Die</strong> Referenz ist das Wort und die<br />
Bedeutung ist das, was das Wort meint. Sobald die Differänz die Bühne betritt, wird die<br />
Bedeutung kontinuierlich solange verschoben, bis sie nicht weiter verschoben werden kann<br />
– das bedeutet, solange, bis sie das Reich <strong>der</strong> Metaphysik erreicht. <strong>Die</strong> endgültige<br />
Bedeutung, die jedes Wort erreicht, ist Gott, weil Gott <strong>der</strong> letztendliche Inhalt westlichen<br />
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