Magazin #22 - Der Club zu Bremen
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mal zwei Tagen auf Jamestown Reede, wo man das Schiff <strong>zu</strong><br />
jeder Zeit sehnlichst erwartet. Ein kombiniertes Passagier- und<br />
Frachtschiff, das auch als Hochseeschlepper eingesetzt werden<br />
kann, in einem Seegebiet, in dem sich außer fliegenden Fischen<br />
und Delphinen kaum eine Abwechslung findet. Entsprechend gedrängt<br />
ist das Bordprogramm, was sonderlich die auf jede Spielerei<br />
versessenen Briten entzückt. Jede Aktion bedarf selbstverständlich<br />
der dafür geeigneten Kleidung. Keine leichte Übung<br />
bei maximal 23 Kilo Gepäck.<br />
St. Helena erweist sich, je nach Interessenlage und Offenheit,<br />
entweder als das, womit man ohnehin rechnete, oder als das<br />
gerade Gegenteil davon. Französische Pilger, die es seit den<br />
Zeiten von Napoleons Verbannung auf St. Helena zog, beschreiben<br />
die Insel als ein düsteres, abweisendes Verlies, eine, so<br />
übernimmt es der eine vom anderen, aus dem Meer aufsteigende<br />
Warze, irgendwie der Hölle entstiegen, was, weil es sich um<br />
einen aus dem 6000 Meter tiefen Angolabecken aufsteigenden<br />
Vulkanschlot handelt, nicht einmal völlig abwegig ist. Nur anders<br />
gemeint. Auf dieses dunkle Stück Erde hat man den Kaiser<br />
der Vergessenheit überantwortet. Jeder, der <strong>zu</strong> seiner Entourage<br />
gehörte, hat danach allerdings so lautstark vom Leben und Treiben<br />
im wurmstichigen, ungeschützt dem Südost-Passat preisgegebenen<br />
Longwood berichtet, dass St. Helena <strong>zu</strong>r bekanntesten<br />
unbekannten Insel der Welt avancierte.<br />
Wen es nach napoleonischen Eingebungen verlangt, der hat es<br />
heute nicht leicht. Franzosen schauen kaum noch vorbei. Die<br />
Grand Nation leistet sich allerdings nach wie vor einen Konsul<br />
auf dem Eiland. Napoleons erste Residenz, The Briars, Longwood<br />
House, der eigentlich Verbannungsort und die Grabstelle im<br />
Geranium Valley, von der er 1840 nach Paris überführt wurde,<br />
befinden sich in ihrem Besitz. An jedem dieser Orte knattert<br />
makellos die Trikolore im Wind. Fragt man allerdings unter dem<br />
Katzenhimmel von Anne’s Place nach dem, was die Saints, wie<br />
sie sich nennen, noch mit dem Mann verbindet, dem sie ihren<br />
ungewissen Weltruhm verdanken, erntet man meistens nur Spott:<br />
„You’re talkin‘ about Boney? Boney like Boney M.?“<br />
Colin, Betreiber einer Garage am Community Center, das tatsächlich<br />
an der Napoleon Street liegt, fährt, falls Nachfrage bestehen<br />
sollte, Touristen <strong>zu</strong> den Pilgerstätten, in einem sehenswerten<br />
Chevrolet Kabrio Baujahr 1928, der einem auf den halsbrecherischen<br />
Straßen, die die Insel erschließen, gelegentlich um Leib und<br />
Leben fürchten lässt. Colin fährt nicht, er chauffiert, dabei ist das<br />
Fahrzeug nicht mehr als eine Bretterbude auf Rädern mit einem<br />
Verdeck. Vor Longwood House lässt er ihn stehen. Das Gebäude ist<br />
nicht einmal mehr die Gruft, als die sie die Bonapartisten beschrieben.<br />
Die Replik einer Replik. St. Helena hat, seit die Einwohner<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts die Holzladung eines aus Brasilien<br />
angetriebenen Sklavenschiffs bargen, ein Problem mit den Termiten.<br />
Das Sterbebett, der Billardtisch, der dem Kaiser als Kartentisch<br />
diente, alles war und ist nicht von Dauer. Selbst die Löcher in<br />
den Fensterläden, durch die er mit seinem in Austerlitz erprobten<br />
Fernrohr spähte, werden ein ums andere Mal neu gebohrt. Sterbebetten<br />
existieren ohnehin zwei, eines, das originale in Paris, und<br />
eines, genau so authentisch, auf Deadwood Plain, der Hochebene,<br />
die Longwood House krönt. Unsere Rückfahrt führt uns an einer<br />
von Flachs umwucherten Behindertenwerkstatt vorbei, einem<br />
Sozialprojekt, das, wie Colin meint, der Beachtung verdiene. Sie<br />
stellen dort winzige Büsten des Kaisers her, Seifenstücke, <strong>zu</strong> drei<br />
St. Helena Pound pro Exemplar. Mehr als diese Hommage und<br />
eine Schneiderpuppe mit seinen Gesichtszügen auf dem Balkon<br />
des Consulate in der Main Street sind von ihm nicht <strong>zu</strong> haben.<br />
Südatlantische Reflexionen<br />
61<br />
Paul Hickling, bei ihm sollten wir vorbeischauen. Er ist einer von<br />
denen, die auf St. Helena wirklich etwas bewegen. Wir nehmen<br />
das wörtlich, weil einen Jamestown, 700 Einwohner, kaum ist<br />
man drin und auch schon durch, an eine englische Kleinstadt in<br />
den Dreißigerjahren erinnert. Die beiden Pubs, Anne’s Place, The<br />
Consulate, das führende Haus am Platz, wo zwei Stunden nach<br />
der Ankunft des Schiffs die Rezeption dichtgemacht wurde.<br />
Gegenüber das Wellington, eher Guesthouse als Hotel, in dem<br />
1805 Sir Arthur Wellesley, auf der Reise von Indien nach England,<br />
logierte. Er erkannte, bei allen Nachteilen, die Vorzüge der<br />
Abgelegenheit dieser Insel und machte zehn Jahre später, als<br />
Duke of Wellington und Sieger von Waterloo, davon Gebrauch.<br />
Bemerkenswert, weil kaum auffindbar, sind die Grocery Stores.