70 Bremer Geschichte Friedrich Engels Friedrich Engels in <strong>Bremen</strong>
Johannes C. Schmid Das 19. Jahrhundert brachte eine außerordentliche geistige Blüte über Europa. Musik, Malerei, Philosophie, Literatur, alles war im Aufbruch begriffen. Bedeutende neue Erfindungen wie die Dampfmaschine, die Eisenbahn und die Fotografie wurden gemacht. In der Wirtschaft stellte ein freier, schrankenloser Wettbewerb immer neue Anforderungen und veränderte die Lebensweise der Menschen und trieb sie in steigende Unrast. Das Maschinenzeitalter nahm seinen Anfang. Für viele bedeutete das steigenden Reichtum und für zigtausende Armut und Abhängigkeit. Das war die Geburtsstunde des Sozialismus. Profilierte Köpfe, meist aus bürgerlichen Kreisen, erhoben ihre Stimme, um die Widersprüche des Jahrhunderts <strong>zu</strong> beseitigen bzw. durch soziale Reformen <strong>zu</strong> verändern. Die Idee war es, die herrschende Ordnung neu <strong>zu</strong> gestalten. In Deutschland waren es Karl Marx und Ferdinand Lassalle. Lassalle gründete 1863 in Leipzig die SPD, die in diesem Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert. Karl Marx verfasste 1847 das sogenannte „Kommunistische Manifest“ mit Friedrich Engels, einem der größten Theoretiker des Sozialismus. Dieser Friedrich Engels verbrachte in seiner Jugend entscheidende Jahre in <strong>Bremen</strong>. Hier erlernte er den Beruf des Kaufmanns. Lehrjahre in <strong>Bremen</strong> <strong>Bremen</strong>, den 10. August 1838. Eine Kutsche passierte das Wachhaus am Ansgariitor und erreichte wenig später ihr Ziel, das Hotel Frankfurt. Dieses Hotel, benannt nach dem Sitz des Deutschen Bundes in Frankfurt, war eine erste Adresse in der Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong>. Ein junger Mann, schlaksig, modisch gekleidet, springt elastisch aus der Kutsche, gefolgt von einem beleibten älteren Herrn, von Aussehen und Gebaren, sichtlich ein Mann von Stand. 71 71 „So, mein Sohn“, wandte dieser sich an den Jungen, dessen wache Augen das rege Treiben vor dem Hotel betrachteten. „Hier in dieser Stadt wirst Du nun deine Ausbildung fortführen. Morgen werden wir Pastor Gottfried Treviranus im Martiniviertel aufsuchen. Du wirst dich sicher bei ihm wohl fühlen. Er ist hier in der Stadt ein bibelfester, angesehener Mann und ich weiß Dich bei ihm in guten Händen. Nach der langen Reise lass uns jetzt ein gutes Abendessen einnehmen.“ Er klopft seinem Sohn aufmunternd auf die Schulter und sie betreten das Hotel, gefolgt von einem Pagen, mit ihrem Gepäck. Stunden später sitzt der junge Engels in seinem Zimmer, beschäftigt damit, seiner Mutter <strong>zu</strong> schreiben. Liebe Mutter! Unsere Reise verlief ziemlich glücklich. Lass mich Dir einige Einzelheiten berichten… Engels sieht vom Schreiben auf und blickt <strong>zu</strong>m Fenster hinaus auf den gegenüberliegenden Dom. Warum war er hier? War die Entscheidung des Vaters richtig, die in Wuppertal begonnene Ausbildung hier in <strong>Bremen</strong> fort<strong>zu</strong>setzen? Warum habe ich es so widerstandslos hingenommen, geht es ihm durch den Kopf, fühle ich mich doch ohnehin nicht berufen <strong>zu</strong> diesem Krämerseelendasein, diesem Wühlen in Akten und Konten. Literatur, Philosophie, das sind die geistigen Reiche, die es für mich <strong>zu</strong> erkunden, <strong>zu</strong> erobern gilt. Ich werde Marie, meiner Schwester, von meinem Verdruss schreiben, sie ist ohnehin die Einzige, der ich vertrauen kann, die mich ganz versteht. Er kommt immer mehr ins Grübeln. Aber kann ich Vater denn enttäuschen, lebt er nicht in seiner Welt von Bibel und Börse, hat er nicht großen Erfolg als Fabrikant, eine Baumwollspinnerei in Wuppertal, eine Fabrik in Manchester, ein stattliches Patrizierhaus in Barmen. Er tut einen tiefen Seufzer. Aber man muss ihn verstehen, den Alten. Er will einen Nachfolger, will mich <strong>zu</strong> Seinesgleichen machen.