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Magazin #22 - Der Club zu Bremen

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Gerald Sammet<br />

Man kann in diesem Buch blättern wie in einem Album voller<br />

Scherenschnitte. Miniaturen, jede für sich <strong>zu</strong> nehmen oder in<br />

einen Zusammenhang gestellt, dessen Tragweite einzig beim<br />

Leser und bei der Leserin liegt. Wobei Tragweite Erwartungen<br />

weckt, die in dem Buch, auch wenn im Titel davon die Rede ist,<br />

nicht ganz dem entsprechen, was die Autorin auf 162 Seiten<br />

anklingen lässt. <strong>Bremen</strong> Walking ist definitiv kein Wander- und<br />

Reisebuch, keine Erzählung, die das Weite sucht und darüber<br />

Ferne gewinnt. <strong>Bremen</strong> Walking steht für eine Bewegung nach<br />

innen, ein Streben hin <strong>zu</strong> einer Mitte, in der Betty Kolodzy es<br />

sich schon eingerichtet haben muss, bevor sie mit dem Schreiben<br />

anfing. <strong>Bremen</strong> Walking nimmt sich der Dinge an, die sie<br />

schon kennt. <strong>Bremen</strong> Walking, das ist <strong>Bremen</strong> in einer Nussschale,<br />

der man nur ein Streichholz als Mast und ein Blatt von einem<br />

Baum verpassen müsste, der gerade sein Herbstlaub abwirft, und<br />

schon stünde man auf einem wirklichen Schiff oder ließe sich<br />

wenigstens, wie die Autorin, von dem Glauben nicht abbringen,<br />

man sei dabei, mit richtigen Planken unter den Füßen Kurs bis<br />

weit hinter den Horizont auf<strong>zu</strong>nehmen. Dabei schwimmt das<br />

Schiffchen doch nur auf einem Wasserglas, und hinter dessen<br />

Rand geht’s nicht weiter.<br />

Nichts von dem, was damit vorgetragen wurde, spricht gegen<br />

Betty Koldzys Methode. Ihre Beobachtungen sind präzise, ihre<br />

Momentaufnahmen vom Leben in dem begrenzen Raum, den sie<br />

als das ganze <strong>Bremen</strong> ausgibt, wirken klar umrissen, und woher<br />

sie kommt und wohin es sie zieht bei ihrem <strong>Bremen</strong> Walking,<br />

bedarf keiner weiteren Begründung. Heimat steht über dem<br />

ersten Kapitel, Vom Marktplatz ins Viertel ist das zweite überschrieben,<br />

und mit den letzten beiden Sätzen ist dann erst recht<br />

alles gesagt: „Die Haustür schlägt <strong>zu</strong> und du bist <strong>zu</strong> Hause angekommen:<br />

Daheim in <strong>Bremen</strong>.“ Fehlt nur, als diesen langen Lauf<br />

<strong>zu</strong> sich selbst bekräftigende Schlusspointe, das Ausrufezeichen.<br />

Dass Betty Kolodzy mit dem, was sie zwischen Heimat und Heimkommen<br />

ausbreitet, nicht von vorneherein havariert, liegt vor<br />

allem daran, dass es ihr die Kunst der Scherenschnitttechnik so<br />

77<br />

77<br />

sehr angetan hat. Zwar ist bei der alles entweder schwarz oder<br />

weiß angelegt, aber das diffuse Licht hinter dem Seidenpapier<br />

sorgt dann doch dafür, dass die Phantasie angeregt wird. So gelingen<br />

ihr, wenn auch meistens nur zwischen Marktplatz und<br />

einem sich nie am Ganzen messenden Viertel, immer wieder<br />

staunenswerte Geschichten.<br />

Eine, die von Herrn Blume, handelt davon, dass der auf seiner<br />

Parzelle Mäuse fängt (was wäre die Parzelle <strong>Bremen</strong> ohne ihre<br />

Parzellen?), die er für den Eichelhäher auf seinen Komposthaufen<br />

legt. Die Autorin gibt <strong>zu</strong> erkennen, wie <strong>zu</strong>wider ihr dieses<br />

Jagdfieber ist, das sich obendrein auch noch auf Schnecken richtet,<br />

aber der Eichelhäher, wird ihr dann klar, würde sich ihr ohne<br />

Herrn Blumes Mäuse so oft nicht zeigen. „Das nenne ich Recycling“,<br />

bilanziert sie versöhnlich gestimmt die Aktion und möchte<br />

Herrn Blume auch deswegen nicht missen. So lebt es sich<br />

eben im Winkel mit ein bisschen Glück. Man ist umstellt von<br />

Begriffen, die das Gute bezeichnen, aber Betty Kolodzy weiß<br />

wenigstens, dass dahinter oft nur übersehene Bosheiten stecken.<br />

Nicht alles in <strong>Bremen</strong> Walking ist freilich so satirisch gemeint,<br />

wie es häufig auf einen wirkt. Dass Werder <strong>Bremen</strong> den Beat der<br />

Stadt verkörpere, müsste denen in der Vorstandsetage mal einer<br />

näher<strong>zu</strong>bringen versuchen. Mit alle vierzehn Tage einmal Beat,<br />

einer Sommerpause da<strong>zu</strong> und der weihnachtlichen Ruhezeit als<br />

Verlängerung kriegt man nicht all<strong>zu</strong> viel Dynamik ins städtische<br />

Leben. Dass Kolodzy es in dem Kontext auch noch schafft, die<br />

gelegentlichen nächtlichen Fußballspiele von Autonomen auf<br />

der Sielwallkreu<strong>zu</strong>ng von dem ab<strong>zu</strong>leiten, was die Werder-Profis<br />

vorgelegt haben, spricht erstens für ihren schwarzen Humor und<br />

bezeugt zweitens, wie groß der Dorfplatz vom Viertel nur ist.<br />

Darin steckt allerdings auch ein Grundproblem ihres Buchs. <strong>Bremen</strong>s<br />

als Stadt der gefühlt kurzen Wege und der tatsächlich sich<br />

lang und länger hinziehenden Gegebenheiten kriegt sie nie von<br />

einer Position her in den Griff, die wirkliche Überraschungen<br />

bietet. Einmal plant die Erzählerin mit einer Freundin eine Reise

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