76 Literatur Betty Kolodzy <strong>Bremen</strong> Walking
Gerald Sammet Man kann in diesem Buch blättern wie in einem Album voller Scherenschnitte. Miniaturen, jede für sich <strong>zu</strong> nehmen oder in einen Zusammenhang gestellt, dessen Tragweite einzig beim Leser und bei der Leserin liegt. Wobei Tragweite Erwartungen weckt, die in dem Buch, auch wenn im Titel davon die Rede ist, nicht ganz dem entsprechen, was die Autorin auf 162 Seiten anklingen lässt. <strong>Bremen</strong> Walking ist definitiv kein Wander- und Reisebuch, keine Erzählung, die das Weite sucht und darüber Ferne gewinnt. <strong>Bremen</strong> Walking steht für eine Bewegung nach innen, ein Streben hin <strong>zu</strong> einer Mitte, in der Betty Kolodzy es sich schon eingerichtet haben muss, bevor sie mit dem Schreiben anfing. <strong>Bremen</strong> Walking nimmt sich der Dinge an, die sie schon kennt. <strong>Bremen</strong> Walking, das ist <strong>Bremen</strong> in einer Nussschale, der man nur ein Streichholz als Mast und ein Blatt von einem Baum verpassen müsste, der gerade sein Herbstlaub abwirft, und schon stünde man auf einem wirklichen Schiff oder ließe sich wenigstens, wie die Autorin, von dem Glauben nicht abbringen, man sei dabei, mit richtigen Planken unter den Füßen Kurs bis weit hinter den Horizont auf<strong>zu</strong>nehmen. Dabei schwimmt das Schiffchen doch nur auf einem Wasserglas, und hinter dessen Rand geht’s nicht weiter. Nichts von dem, was damit vorgetragen wurde, spricht gegen Betty Koldzys Methode. Ihre Beobachtungen sind präzise, ihre Momentaufnahmen vom Leben in dem begrenzen Raum, den sie als das ganze <strong>Bremen</strong> ausgibt, wirken klar umrissen, und woher sie kommt und wohin es sie zieht bei ihrem <strong>Bremen</strong> Walking, bedarf keiner weiteren Begründung. Heimat steht über dem ersten Kapitel, Vom Marktplatz ins Viertel ist das zweite überschrieben, und mit den letzten beiden Sätzen ist dann erst recht alles gesagt: „Die Haustür schlägt <strong>zu</strong> und du bist <strong>zu</strong> Hause angekommen: Daheim in <strong>Bremen</strong>.“ Fehlt nur, als diesen langen Lauf <strong>zu</strong> sich selbst bekräftigende Schlusspointe, das Ausrufezeichen. Dass Betty Kolodzy mit dem, was sie zwischen Heimat und Heimkommen ausbreitet, nicht von vorneherein havariert, liegt vor allem daran, dass es ihr die Kunst der Scherenschnitttechnik so 77 77 sehr angetan hat. Zwar ist bei der alles entweder schwarz oder weiß angelegt, aber das diffuse Licht hinter dem Seidenpapier sorgt dann doch dafür, dass die Phantasie angeregt wird. So gelingen ihr, wenn auch meistens nur zwischen Marktplatz und einem sich nie am Ganzen messenden Viertel, immer wieder staunenswerte Geschichten. Eine, die von Herrn Blume, handelt davon, dass der auf seiner Parzelle Mäuse fängt (was wäre die Parzelle <strong>Bremen</strong> ohne ihre Parzellen?), die er für den Eichelhäher auf seinen Komposthaufen legt. Die Autorin gibt <strong>zu</strong> erkennen, wie <strong>zu</strong>wider ihr dieses Jagdfieber ist, das sich obendrein auch noch auf Schnecken richtet, aber der Eichelhäher, wird ihr dann klar, würde sich ihr ohne Herrn Blumes Mäuse so oft nicht zeigen. „Das nenne ich Recycling“, bilanziert sie versöhnlich gestimmt die Aktion und möchte Herrn Blume auch deswegen nicht missen. So lebt es sich eben im Winkel mit ein bisschen Glück. Man ist umstellt von Begriffen, die das Gute bezeichnen, aber Betty Kolodzy weiß wenigstens, dass dahinter oft nur übersehene Bosheiten stecken. Nicht alles in <strong>Bremen</strong> Walking ist freilich so satirisch gemeint, wie es häufig auf einen wirkt. Dass Werder <strong>Bremen</strong> den Beat der Stadt verkörpere, müsste denen in der Vorstandsetage mal einer näher<strong>zu</strong>bringen versuchen. Mit alle vierzehn Tage einmal Beat, einer Sommerpause da<strong>zu</strong> und der weihnachtlichen Ruhezeit als Verlängerung kriegt man nicht all<strong>zu</strong> viel Dynamik ins städtische Leben. Dass Kolodzy es in dem Kontext auch noch schafft, die gelegentlichen nächtlichen Fußballspiele von Autonomen auf der Sielwallkreu<strong>zu</strong>ng von dem ab<strong>zu</strong>leiten, was die Werder-Profis vorgelegt haben, spricht erstens für ihren schwarzen Humor und bezeugt zweitens, wie groß der Dorfplatz vom Viertel nur ist. Darin steckt allerdings auch ein Grundproblem ihres Buchs. <strong>Bremen</strong>s als Stadt der gefühlt kurzen Wege und der tatsächlich sich lang und länger hinziehenden Gegebenheiten kriegt sie nie von einer Position her in den Griff, die wirkliche Überraschungen bietet. Einmal plant die Erzählerin mit einer Freundin eine Reise