72 Bremer Geschichte Friedrich Engels Friedrich Engels, um 1845
Müde streckt sich Engels auf dem Bett aus, lauscht den Glocken des nahen Domes und schläft ein. Sein letzter Gedanke ist, ich muss einen Ausweg finden. Eine Woche später, sein Vater war bereits wieder nach Wuppertal abgereist, hatte er Quartier bezogen bei Pastor Treviranus, Martinikirchof 2, und war vorstellig geworden beim Großhandelskaufmann und Sächsischen Konsul, Heinrich Leupold, in der Martinistraße 11, bei ihm sollte er seine Ausbildung fortsetzen. Das Martiniviertel an der Weser gefiel dem jungen Engels sofort. Die alte, im 12. Jahrhundert erbaute Kirche nebst Pfarrhaus ,in dem er wohnte, der <strong>zu</strong>r Weser gelegene Kirchgarten, in dem, wie er schnell feststellte, sich herrlich lesen und denken ließ, die prächtigen Bürgerhäuser und der nahe Ratskeller, all das versprach eine leidlich angenehme Zeit. Weniger erfreut war Engels über die Bibelsprüche und Ermahnungen des orthodoxen, calvinistischen Pastors, mit denen ihm dieser täglich begegnete. Ansonsten war der Pastor sehr umgänglich. Sogar einen Schnurrbart, der in den Kontorräumen verpönt war, und den Engels sich wachsen ließ, wurde von ihm toleriert. <strong>Der</strong> Pastor und seine Frau hatten viele Schicksalsschläge verkraften müssen, dennoch war sein Glaube unerschütterlich. Sechs Kinder waren ihm früh verstorben. Zwei Töchter, die 19-jährige Katharina-Maria und die 10-jährige Margarethe gehörten noch <strong>zu</strong>r Familie. Außerdem waren häufig Gäste im Haus. Die ältere Tochter Maria betrachtete der lebenslustige Rheinländer mit Wohlgefallen, hielt sich aber <strong>zu</strong>rück, da der Pastor nachdrücklich auf Sitte und Anstand achtete. Sie entsprach so gar nicht dem Bild, welches ein Bremer Literat, Eduard Beumann in seinen Skizzen aus den Hansestädten von den Bremerinnen gezeichnet hatte. Mit großer Heiterkeit hatte Engels diese Skizzen gelesen. Beumann hatte geschrieben: „Wo die Bremerin mit dem Fuß hintritt, da wächst kein Gras mehr…“ „Sie sind eher plump als graziös und haben meist niederländische Züge…“ „Sie sind Blei an den Füßen ihrer Ehemänner…“ Nach einigen Wochen fühlte sich der junge Engels in <strong>Bremen</strong> recht heimisch. Die Monotonie des Kontorlebens ertrug er mit stoischem Gleichmut, Ebenso die frömmelnden Tischgespräche bei Treviranus. Oh, diese Religion! Schon im Elternhaus, als Schüler, hatte er innerlich aufbegehrt gegen die pietistische Erziehung und enge Auslegung der Bibel, als sei Gott ein Buchhalter. Schon mit seinem Freund Wilhelm Graeber hatte er heimlich darüber gelästert und sich früh angewöhnt, ein Doppelleben <strong>zu</strong> führen. Er hatte gelernt, seine inneren Kämpfe, seine ketzerischen Gedanken sorgfältig vor der Öffentlichkeit <strong>zu</strong> verbergen. 73 Diese Haltung behielt Engels auch in <strong>Bremen</strong> bei. Lesend saß er häufig im neuen Caféhaus am Domshof, hier gab es sogar ein Billardzimmer. Er besuchte das alte Theater am Wall oder verbrachte ganze Abende disputierend im Ratskeller. Am liebsten aber saß er im Kirchgarten, sah den Schiffen auf der Weser nach und las, was er nur in den Buchhandlungen auftreiben konnte. Heine, Schiller, Goethe, Schelling… Buch um Buch befreite Engels sich mittels Lektüre und Zwiegespräch von der Tradition der Rechtgläubigkeit. Ich bin jetzt dahin gekommen, nur die Lehre für göttlich <strong>zu</strong> halten, die vor der Vernunft bestehen kann, gestand er sich ein. An den Freund Graeber schrieb er: ……bei kostbarem Wetter im Garten gesessen, geraucht und Lusiande gelesen… es liest sich nirgends so gut als im Garten, mit einer Pfeife im Mund. Bin <strong>zu</strong> großen Erkenntnissen gelangt…….. Eines Abends im Ratskeller beim flackernden Licht der Kerzen, der Wein hatte seine Phantasie angeregt, kam ihm eine zündende Idee. Seinem klaren Verstand war schon lange aufgefallen, dass in der bremischen Bürgerschaft kein revolutionärer Geist vorherrschte. Allenfalls unter den Zigarrenmachern gab es einige Arbeiter, die aufrührerischen Ideen nahe standen. <strong>Der</strong> Senat, unter Führung von Bürgermeister Smidt, einem sonst weitschauenden Politiker, betrieb eine autoritäre Politik. Was also war <strong>zu</strong> tun? Ich muss schreiben, denkt er, muss Sprachrohr neuer Ideen werden. Aber wie? Wer würde Artikel von einem unbekannten, jungen Kaufmannslehrling veröffentlichen? Wer, Wer, Wer? Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. „Oswald“, ruft er. Ab jetzt schreibe ich unter dem Namen Friedrich Oswald. „Friedrich Oswald“, flüstert er nochmals gedehnt. Ob dieses genialen Einfalls ordert er mit ausholender Geste einen weiteren Humpen Wein. Schon überschlagen sich in seinem Kopf Pläne. Für die Geheimorganisation -Junges Deutschland- werde ich Artikel schreiben. Kritische, aufwühlende Artikel wie Heine, Börne, Laube, Gutzkow. Engels ist voll entflammt. Schon bald erscheinen seine Berichte in wichtigen deutschen Publikationen. In Gutzkows „Thelegraph für Deutschland“, im „Deutschen Courier“, im „Morgenblatt für gebildete Leser und Mitternachtszeitung“. Seine Artikelserie „Briefe aus Wuppertal“ erregen schon bald die Gemüter. Er schreibt: Die Barmer Stadtschule liegt ganz in den Händen eines beschränkten, knickerigen Kuratoriums…….. Leute, die zwar einen Posten sehr korrekt ins Hauptbuch übertragen können, aber von Griechisch, Latein oder Mathematik keine