Magazin #22 - Der Club zu Bremen
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Johannes C. Schmid<br />
Das 19. Jahrhundert brachte eine außerordentliche geistige<br />
Blüte über Europa. Musik, Malerei, Philosophie, Literatur, alles<br />
war im Aufbruch begriffen. Bedeutende neue Erfindungen wie<br />
die Dampfmaschine, die Eisenbahn und die Fotografie wurden<br />
gemacht. In der Wirtschaft stellte ein freier, schrankenloser<br />
Wettbewerb immer neue Anforderungen und veränderte die Lebensweise<br />
der Menschen und trieb sie in steigende Unrast.<br />
Das Maschinenzeitalter nahm seinen Anfang. Für viele bedeutete<br />
das steigenden Reichtum und für zigtausende Armut und Abhängigkeit.<br />
Das war die Geburtsstunde des Sozialismus. Profilierte Köpfe,<br />
meist aus bürgerlichen Kreisen, erhoben ihre Stimme, um die<br />
Widersprüche des Jahrhunderts <strong>zu</strong> beseitigen bzw. durch soziale<br />
Reformen <strong>zu</strong> verändern. Die Idee war es, die herrschende Ordnung<br />
neu <strong>zu</strong> gestalten.<br />
In Deutschland waren es Karl Marx und Ferdinand Lassalle.<br />
Lassalle gründete 1863 in Leipzig die SPD, die in diesem Jahr<br />
ihr hundertjähriges Bestehen feiert. Karl Marx verfasste 1847 das<br />
sogenannte „Kommunistische Manifest“ mit Friedrich Engels,<br />
einem der größten Theoretiker des Sozialismus. Dieser Friedrich<br />
Engels verbrachte in seiner Jugend entscheidende Jahre in <strong>Bremen</strong>.<br />
Hier erlernte er den Beruf des Kaufmanns.<br />
Lehrjahre in <strong>Bremen</strong><br />
<strong>Bremen</strong>, den 10. August 1838. Eine Kutsche passierte das Wachhaus<br />
am Ansgariitor und erreichte wenig später ihr Ziel, das Hotel<br />
Frankfurt. Dieses Hotel, benannt nach dem Sitz des Deutschen<br />
Bundes in Frankfurt, war eine erste Adresse in der Freien<br />
Hansestadt <strong>Bremen</strong>.<br />
Ein junger Mann, schlaksig, modisch gekleidet, springt elastisch<br />
aus der Kutsche, gefolgt von einem beleibten älteren Herrn, von<br />
Aussehen und Gebaren, sichtlich ein Mann von Stand.<br />
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„So, mein Sohn“, wandte dieser sich an den Jungen, dessen wache<br />
Augen das rege Treiben vor dem Hotel betrachteten. „Hier in<br />
dieser Stadt wirst Du nun deine Ausbildung fortführen. Morgen<br />
werden wir Pastor Gottfried Treviranus im Martiniviertel aufsuchen.<br />
Du wirst dich sicher bei ihm wohl fühlen. Er ist hier in der<br />
Stadt ein bibelfester, angesehener Mann und ich weiß Dich bei<br />
ihm in guten Händen. Nach der langen Reise lass uns jetzt ein<br />
gutes Abendessen einnehmen.“ Er klopft seinem Sohn aufmunternd<br />
auf die Schulter und sie betreten das Hotel, gefolgt von<br />
einem Pagen, mit ihrem Gepäck. Stunden später sitzt der junge<br />
Engels in seinem Zimmer, beschäftigt damit, seiner Mutter <strong>zu</strong><br />
schreiben.<br />
Liebe Mutter!<br />
Unsere Reise verlief ziemlich glücklich. Lass mich Dir einige Einzelheiten<br />
berichten…<br />
Engels sieht vom Schreiben auf und blickt <strong>zu</strong>m Fenster hinaus<br />
auf den gegenüberliegenden Dom. Warum war er hier? War die<br />
Entscheidung des Vaters richtig, die in Wuppertal begonnene<br />
Ausbildung hier in <strong>Bremen</strong> fort<strong>zu</strong>setzen? Warum habe ich es so<br />
widerstandslos hingenommen, geht es ihm durch den Kopf, fühle<br />
ich mich doch ohnehin nicht berufen <strong>zu</strong> diesem Krämerseelendasein,<br />
diesem Wühlen in Akten und Konten. Literatur, Philosophie,<br />
das sind die geistigen Reiche, die es für mich <strong>zu</strong> erkunden,<br />
<strong>zu</strong> erobern gilt. Ich werde Marie, meiner Schwester, von meinem<br />
Verdruss schreiben, sie ist ohnehin die Einzige, der ich vertrauen<br />
kann, die mich ganz versteht.<br />
Er kommt immer mehr ins Grübeln. Aber kann ich Vater denn<br />
enttäuschen, lebt er nicht in seiner Welt von Bibel und Börse,<br />
hat er nicht großen Erfolg als Fabrikant, eine Baumwollspinnerei<br />
in Wuppertal, eine Fabrik in Manchester, ein stattliches Patrizierhaus<br />
in Barmen. Er tut einen tiefen Seufzer. Aber man muss<br />
ihn verstehen, den Alten. Er will einen Nachfolger, will mich <strong>zu</strong><br />
Seinesgleichen machen.