Europa liest - Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
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an einer uni zugunsten der tochter eines<br />
professors übergangen. Verständlicherweise<br />
verurteilt er diesen familiären Nepotismus<br />
italiens, jene ungerechtigkeit, die seit jeher<br />
in diesem land herrscht. und wenn diese<br />
Bücher dann im ausland erscheinen, werden<br />
sich die leser freuen, dass Großbritannien<br />
eigentlich gar kein so zivilisiertes land<br />
ist und dass italien korrupt ist wie eh und je.<br />
es tut immer gut, vom scheitern anderer<br />
länder zu hören. Wenn man thomas<br />
Bernhard oder elfriede Jelinek <strong>liest</strong>, denkt<br />
man stets mit einem leichten schaudern, wie<br />
schrecklich Österreich doch sein muss. Bei<br />
der lektüre des Mafia-Buchs „Gomorrah“<br />
erfreuen sich Franzosen und Deutsche daran,<br />
dass Neapel niemals so zivilisiert sein<br />
wird wie Marseille oder München.<br />
aber ach, europa ist letztendlich ein zu<br />
amorphes und vielschichtiges Konzept, als<br />
dass die leser sich an einem unrecht erfreuen<br />
würden, das in der europäischen<br />
Gemeinschaft geschieht. Niemand würde<br />
einen roman darüber schreiben, welch<br />
schreckliches erlebnis er oder sie in eu ropa<br />
hatte.<br />
Warum erklärt sich der zehnte oder<br />
zwölfte Verleger (sei es auch, nachdem er<br />
viele „Verbesserungen“ aufgenötigt hat) bereit,<br />
das Werk jenes jungen schriftstellers<br />
oder jener jungen schriftstellerin zu veröffentlichen?<br />
Weil es kommerzielles potenzial<br />
hat. es werden andere Gründe genannt,<br />
aber das ist der einzige Grund, der wirklich<br />
Bei der lektüre des Mafia-Buchs<br />
„Gomorrah“ erfreuen sich Franzosen<br />
und Deutsche daran, dass<br />
Neapel niemals so zivilisiert sein<br />
wird wie Marseille oder München.<br />
For tschritt <strong>Europa</strong> ?<br />
zählt. Man wird heutzutage unter den Verlegern<br />
in Großbritannien nur mit Mühe<br />
einen lektor finden, der an erster, zweiter<br />
oder auch nur an dritter stelle die „literarische<br />
leistung“ berücksichtigt – was auch<br />
immer das genau sein mag. lektoren, die<br />
so arbeiteten, wurden vor langer Zeit aus<br />
ihren positionen entfernt und arbeiten nun<br />
freiberuflich von zu hause, wo sie nach den<br />
anweisungen klügerer Menschen mit einer<br />
vernünftigen ausbildung in Marketing<br />
und Buchhaltung Manuskripte lesen und<br />
lektorieren.<br />
Kinderzauberer und Verschwörung<br />
Glücklicherweise gibt es viele themen,<br />
die dieses kommerzielle potenzial in sich<br />
tragen – von Kinderzauberern über internationale<br />
Verschwörungen, liebesgeschichten<br />
natürlich, Mord, Gewalt und chaos, die<br />
Misere ethnischer Minderheiten, bis zu pornografie<br />
und der schmach der ungerechtigkeit.<br />
all diese themen sind sichere Wege<br />
zum ruhm.<br />
Noch vor Veröffentlichung des romans<br />
unseres jungen Mannes wird man auf den<br />
Verkauf der rechte ins ausland drängen.<br />
liegt das daran, dass der schriftsteller in<br />
portugal oder irland es kaum erwarten<br />
kann, in Belgien, Griechenland oder slowenien<br />
gelesen zu werden? sicher nicht. sogar<br />
wenn der roman eine faszinierende Darstellung<br />
der Kultur und politik eines kleinen<br />
europäischen landes ist, bedeutet dies<br />
noch lange nicht, dass der schriftsteller sich<br />
auf einen austausch mit den Kulturkreisen<br />
anderer kleiner oder großer europäischer<br />
länder freut. es ist ihm außerdem relativ<br />
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