Europa liest - Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
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Wo das Meer endet und das land beginnt Jenseits<br />
imperialistischer ansprüche der Vergangenheit hat in<br />
portugal die Weite der Meeresgrenze den kosmopolitischen<br />
Dialog zur täglichen praxis werden lassen. Kulturwissenschaftliche<br />
anmerkungen vom westlichsten<br />
rand europas. Von Isabel Capeloa Gil<br />
Über europäische Kultur von dem<br />
standort aus zu sprechen, wo „das<br />
Meer endet und das land be ginnt“,<br />
kann nur ein kosmopolitisches unterfangen<br />
sein. Die Formulierung stammt aus José saramagos<br />
anfangszeile des romans „Das todesjahr<br />
des ricardo reis“ (1984) und setzt<br />
sich kritisch mit der maritimen Vergangenheit<br />
portugals auseinander. Durch die periphere<br />
lage oder weil eigentlich das Meer<br />
– und nicht das land – <strong>für</strong> uns horizont<br />
ist, bekommt das Gefühl von globaler Zugehörigkeit<br />
eine besondere Bedeutung. Jenseits<br />
imperialistischer ansprüche der Vergangenheit<br />
hat die Weite der Meeresgrenze<br />
den kosmopolitischen Dialog zur täglichen<br />
praxis werden lassen.<br />
hochschulen haben die aufgabe, spannungen<br />
zwischen den erdgebundenen er-<br />
zählungen der Örtlichkeit und der stets im<br />
Fluss befindlichen logik der Globalität unter<br />
die lupe zu nehmen.<br />
ich argumentiere aus einer position des<br />
provinzialen, aus der sicht einer portugiesischen,<br />
semiperipheren europäischen identität.<br />
ich äußere mich als akademikerin<br />
mit einer wissenschaftlichen ausbildung<br />
in <strong>deutsch</strong>er literatur, die im schatten der<br />
letzten imperialistischen und kolonialen Nation<br />
des europäischen Kontinents arbeitet<br />
– einem land in der Diaspora, das sich in<br />
den letzten Jahrzehnten als Zufluchtsort <strong>für</strong><br />
einwanderer neu erfunden hat.<br />
Für all jene, die mit mir eine transitidentität<br />
gemeinsam haben, ist internationalisierung<br />
kein trend, sondern ein essenzieller<br />
Zustand – und Kosmopolitismus ist<br />
kontinuierlich zu verhandeln. statt jedoch<br />
den abstrakten, imperialistischen Kosmopolitismus<br />
aus dem europa der aufklärung zu<br />
beschwören, schlage ich vor, die kosmopolitische<br />
Denkweise zu provinzialisieren, zu<br />
historisieren und sich ihr von einem verorteten<br />
standpunkt aus anzunähern – wie es<br />
der <strong>deutsch</strong>e soziologe ulrich Beck treffend<br />
geltend macht: „Kosmopolitismus ohne provinzialismus<br />
ist leer. provinzialismus ohne<br />
Kosmopolitismus ist blind.”<br />
ein Kosmopolitismus des provinzialen<br />
steht somit zwei narrativen hauptsträngen<br />
der Kulturwissenschaft gegenüber: es geht<br />
zum einen um die Kultur als einen nati-<br />
199