Europa liest - Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
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sind), und Verleger müssen davon ausgehen<br />
können, dass sich die investition zumindest<br />
langfristig auszahlen wird.<br />
Die publikationen jener mutigen britischen<br />
Verleger wie serpent’s tail oder Dedalus,<br />
die diesen schritt (mit unterstützung<br />
geringer subventionen) wagen, werden jedoch<br />
nicht einmal in den seriösen Zeitungen<br />
und (Fach-)Zeitschriften besprochen, deren<br />
literaturteil sich stets mit den üblichen Verdächtigen<br />
zu beschäftigen scheint und nur<br />
äußerst selten wirklich neue horizonte in<br />
europa oder anderswo eröffnet. „the times<br />
literary supplement“ bildet in diesem Zusammenhang<br />
eine rühmliche ausnahme.<br />
Natürlich ist eine Übersetzung stets ein<br />
Kompromiss, ein getrübter Blick auf das reine<br />
licht des originals – ich kenne dieses Gefühl<br />
durch meinen derzeitigen Kampf mit der<br />
Übersetzung von Flauberts „Madame Bovary“.<br />
Jene Zeiten sind vorbei, in denen wir einzig<br />
und allein Norwegisch lernten, um ibsen<br />
lesen zu können. Der neu ins leben gerufene<br />
literaturpreis der europäischen union <strong>für</strong><br />
zwölf schriftsteller aus zwölf ausgewählten<br />
ländern wird nur dann eine echte Wirkung<br />
haben, wenn die Werke der preisträger im<br />
anschluss in andere europäische sprachen<br />
übersetzt werden.<br />
Da jedoch nicht einmal der britische „Guardian“<br />
dem preis bisher auch nur eine einzige<br />
Zeile gewürdigt hat, scheint es eine weitere<br />
eu-initiative zu sein, die es nicht über<br />
die schwelle des gelangweilten Desinteresses<br />
seiner Mitbürger geschafft hat. Vielleicht betrachtet<br />
man bei Büchern zentralisierte richt-<br />
Jene Zeiten sind vorbei, in denen<br />
wir einzig und allein Norwegisch<br />
lernten, um ibsen lesen zu können.<br />
<strong>Europa</strong> <strong>liest</strong><br />
linien, die nichts mit dem akt des schreibens<br />
zu tun haben, mit argwohn. schreiben ist<br />
schließlich eine sehr persönliche Äußerung<br />
in einer gemeinsamen sprache, jedoch nicht<br />
eines gemeinsamen Kontinents. Wir erinnern<br />
uns an das Verbot der sowjetunion von nahezu<br />
allem bis auf die literatur ihrer sozialistischen<br />
republiken. aber dieser Vergleich ist<br />
nicht ganz fair, da die europäische literatur<br />
der Gegenwart theoretisch frei und unzensiert<br />
ist (obwohl natürlich einige argumentieren<br />
würden, dass die Buchhalter der Verleger<br />
ihre ganz eigene Form der Zensur ausüben).<br />
Nichtsdestotrotz müssen wir stets auf der<br />
hut vor dem zentralisierenden „politbüro“aspekt<br />
der eu sein, der sich nirgendwo so<br />
deutlich zeigt wie in der gemeinsamen agrarpolitik,<br />
die jegliche alternative zur chemielastigen<br />
agrarwirtschaft im Keim erstickt<br />
sowie die Böden, Gewässer, Flora und Fauna<br />
des Kontinents in einen furchtbaren Zustand<br />
versetzt hat.<br />
Gleichzeitig haben chemieunternehmen<br />
wie Bayer und ici hervorragend von dieser<br />
politik profitiert. Die tatsache, dass es<br />
nie eine gemeinsame literaturpolitik gegeben<br />
hat, muss etwas mit dem recht auf freie<br />
Meinungsäußerung zu tun haben, obwohl<br />
ich nicht weiß, warum nicht dasselbe argument<br />
<strong>für</strong> den Bereich des agrarwesens gilt,<br />
dem sehr viel größere Bedeutung beigemessen<br />
wird.<br />
literatur gedeiht durch unterschiede,<br />
nicht durch Ähnlichkeit. es ist das größte<br />
Geschenk der literatur, dass man zu einer<br />
anderen person werden kann, die sich zum<br />
teil vollkommen von der eigenen person unterscheidet:<br />
Deshalb sind lyrik, Drama und<br />
Belletristik stets die ersten angriffsziele jeglicher<br />
Gewaltherrschaft. literatur ermöglicht<br />
uns, die Welt aus einem vollkommen anderen<br />
Blickwinkel zu sehen, in einen anderen charakter<br />
zu schlüpfen, dadurch unsere empa-<br />
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