Europa liest - Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
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schreiben in der Fremde Die Migration hat nicht nur<br />
die Gesellschaften europas verändert, sie hat auch in<br />
der europäischen Gegenwartsliteratur spuren hinterlassen.<br />
Was macht die sogenannte Migrantenliteratur aus?<br />
Welche rolle spielt die interkulturelle literatur heute?<br />
Von Carmine Chiellino<br />
Durch die Wahl des Florentinischen<br />
und nicht des lateinischen <strong>für</strong> die<br />
„Göttliche Komödie“ hat Dante<br />
alighieri die italienische literatur auf den<br />
Weg gebracht. und zwar mit einer ästhetischen<br />
leistung, die bis heute innerhalb der<br />
italienischen literatur unerreichbar bleibt.<br />
Für das 20. Jahrhundert braucht man nur<br />
auf die Werke von Klassikern wie Franz Kafka,<br />
italo svevo, elias canetti und samuel Beckett<br />
blicken, um festzustellen: sie haben aus<br />
freien stücken und ohne wirtschaftliche oder<br />
politische Zwänge die sprache ihrer Kunst<br />
ausgewählt. Das vergangene Jahrhundert war<br />
das der invasionen, aber auch der friedlichen<br />
ein- und auswanderungen. Die aggressionen<br />
europäischer armeen in den Kolonien<br />
asiens und afrikas sowie die Bewegungen<br />
nationaler heere im Verlauf des ersten und<br />
76<br />
des Zweiten Weltkriegs sind die aggressivste<br />
Form des eindringens in fremde sprachkulturen<br />
und schlimme Zäsuren in den Nationalgeschichten<br />
der betroffenen länder. Faschismus<br />
und stalinismus gingen auch gegen<br />
„fremde“ sprach- und Kulturgemeinschaften<br />
innerhalb der eigenen staatsgrenzen vor, wie<br />
etwa gegen die südtiroler in italien oder gegen<br />
die zahlreichen ethno-kulturellen Minderheiten<br />
innerhalb der sowjetunion.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es<br />
zu bilateral geregelten friedlichen einwanderungen<br />
aus süd- und osteuropa, aus der<br />
türkei und Nordafrika in die länder Nordeuropas.<br />
aus den ehemaligen Kolonien asiens<br />
und afrikas wanderten Migranten in die<br />
vormaligen Kolonialländer, nach Großbritannien,<br />
Frankreich, portugal, spanien oder<br />
die Niederlande ein. es besteht kein Zweifel:<br />
Wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche<br />
umwälzungen tragen zur entstehung<br />
von Kunst und literatur bei. Für einen leser<br />
ist es gewinnbringend, autoren in ihrem<br />
umfeld und deren Werke in ihren entstehungskontexten<br />
wie aus- und einwanderung,<br />
politisches exil, kolonialistische Gewalt,<br />
postkolonialismus und repatriierung,<br />
kennenzulernen.<br />
Jeder autor, der nicht in seiner Muttersprache<br />
schreibt, hat unverwechselbare erfahrungen<br />
und persönliche Gründe <strong>für</strong> die<br />
Wahl seiner schriftstellersprache. Nicht wenige<br />
schriftsteller konnten sich indes gar