Europa liest - Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
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For tschritt <strong>Europa</strong> ?<br />
einer Zeit, die wir mit arroganz „Vor- und<br />
Frühgeschichte“ nennen. Die Frauen und<br />
die Männer europas haben zu leiden und<br />
zu träumen begonnen, lange bevor sich die<br />
ersten reiche bildeten, wie wir sie aus den<br />
Geschichtsbüchern kennen.<br />
Wer werden die beiden wohl gewesen<br />
sein? und welches ist der Grund <strong>für</strong> dieses<br />
eigenartige Begräbnis? ein liebesakt oder<br />
ein gewaltsamer tod? ein Menschenopfer,<br />
ein überraschtes paar – wie paolo und<br />
Francesca aus der Frühgeschichte? oder sind<br />
es romeo und Julia, tristan und isolde, eugen<br />
onegin und tatjana, der Meister und<br />
Margarita? Wer sollen sie denn nach unserem<br />
Verständnis gewesen sein? Die Geschichte<br />
ist explodiert. aus den liebenden<br />
von Mantua sind die liebenden europas<br />
geworden. Wir alle entstammen dieser umarmung.<br />
es ist an uns zu sagen, wer jene<br />
beiden sind und wer wir in naher Zukunft<br />
sein werden.<br />
als autor weiß ich wohl, wie die elementare<br />
Kraft des geschriebenen Wortes, die<br />
tätowierung der Worte auf dem papier, sein<br />
atem und seine Macht in unserer Zeit entwürdigt<br />
wurden. Für mich bedeutet literatur<br />
allerdings nicht diese kleine mickrige<br />
sache, entstanden durch riesige Maschinen,<br />
die sich vor einem beschränkten horizont<br />
bewegen in einem Zeitraum von kurzatmiger<br />
Dauer, wo alles nivelliert und entkräftet<br />
wird, keine spannung mehr herrscht,<br />
nichts, was unruhe, Kontrollverlust, Gedanken<br />
hervorrufen könnte.<br />
Für mich bleibt diese sache, die – auf<br />
dumme, verallgemeinernde Weise – literatur<br />
genannt wird, zumindest potenziell auch<br />
erscheinung, invasion, erfindung, präfiguration<br />
und explosion. es kann auch ein<br />
Durchgang sein, ein Nadelöhr.<br />
Diejenigen schriftsteller, die sich dieser<br />
Bezeichnung als würdig erweisen, sind kei-<br />
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ne Diener des Zeitgeists und der ideen, die<br />
sich jeweils als gewinnträchtig erweisen. sie<br />
sind keine unterhalter und Bediensteten,<br />
nur dazu da, uns <strong>für</strong> die kurze Zeit abzulenken,<br />
die uns von unserem tod trennt, oder<br />
höchstens harmlose erbauliche Gestalten.<br />
sie sind es nie gewesen, auch nicht zu den<br />
Zeiten, als alle räume zu eng wurden und<br />
das Wort als unterirdisches terrain einzig<br />
unkontrollierbar, unbeugsam und widersprechend<br />
blieb, die einzige stimmung, der<br />
einzige Durchgang, das einzige Nadelöhr,<br />
wo später viele durchgingen.<br />
Die schriftsteller, die Künstler, sind<br />
Zerstörer und erbauer, Kundschafter und<br />
Denker, Beunruhiger, Vorwegnehmer und<br />
träumer. Daher will ich hier noch etwas<br />
über europas schriftsteller und seine Künstler<br />
anmerken, seine Denker und seine Wissenschaftler<br />
und ihre erscheinungen und<br />
erfindungen.<br />
an diesem punkt will ich mir vorstellen,<br />
wie mitten in der Nacht, wenn sie niemand<br />
sieht, all diese Figuren sich auf den straßen<br />
dieses nördlichen Kontinents treffen,<br />
der versucht, geboren und wiedergeboren<br />
zu werden. Zuerst bewegen sie sich in rudeln.<br />
es sind viele, ein strom von Frauen<br />
und Männern, der in der Nacht dahinzieht.<br />
Meine Güte, wie viele es sind! es gelingt mir,<br />
hier und dort jemanden zu erkennen: den<br />
blinden Dichter, der in den genetischen Kessel<br />
des lebens in Zeiten des Krieges geschaut<br />
hat und von der Menschheit ohne Frieden,<br />
dem Mut ohne hoffnung sang, den anderen,<br />
als autor weiß ich wohl, wie die<br />
elementare Kraft des geschriebenen<br />
Wortes, sein atem und seine<br />
Macht in unserer Zeit entwürdigt<br />
wurden.