Europa liest - Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
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For tschritt <strong>Europa</strong> ?<br />
stigste und schnellste Weg nach europa,<br />
ihre Wirkung ist unmittelbar, weil die Menschen<br />
sich und ihre Werke hier individuell<br />
darstellen. Da sie mit ihren projekten und<br />
nicht mit reden an der europäischen Kultur<br />
teilnehmen, ist ihre Wirkung real.<br />
als schriftstellerin bleibt mir gar nichts<br />
anderes übrig, als an der Überzeugung festzuhalten,<br />
dass kulturelle projekte wie dieses<br />
hier möglicherweise die einzigen instrumente<br />
der Veränderung und daher auch die<br />
einzigen förderungswürdigen Maßnahmen<br />
sind.<br />
Die Frage, welche Bedeutung es hat,<br />
Kultur in dieser Weise zu präsentieren, hat<br />
auch mit der Zukunft zu tun. ich denke,<br />
wir auf dem Balkan müssen uns noch eine<br />
weitere wichtige Frage stellen: Was <strong>für</strong> einen<br />
Beitrag könnten wir <strong>für</strong> die eu leisten,<br />
unser aller künftige heimat? Wenn<br />
man uns eine solche Frage stellt, bleiben<br />
wir gewöhnlich einen augenblick stumm,<br />
etwas verlegen, weil wir sie uns nicht selbst<br />
gestellt haben! Doch dann sind wir rasch<br />
(improvisation ist eine unserer größten stärken!)<br />
mit einer „geistreichen“ antwort zur<br />
hand: das Überleben! Wir werden euch<br />
lehren, wie man trotz widrigster umstände<br />
überlebt! ohne uns klarzumachen, dass<br />
solche Kenntnisse <strong>für</strong> euch ziemlich unwichtig<br />
sein könnten. Das dürfen wir uns<br />
nicht eingestehen. unser Dasein unter dem<br />
Kommunismus bestand nur aus Überleben,<br />
da würde uns die erkenntnis, dass dieses<br />
Wissen heute niemand mehr braucht, das<br />
Gefühl der Überflüssigkeit geben. unser<br />
leben käme uns irgendwie vergeudet vor.<br />
trotzdem scheint mir klar zu sein,<br />
dass unser Beitrag in zwei Dingen bestehen<br />
könnte: erstens in der kulturellen<br />
und künstlerischen produktion und zweitens<br />
in jungen, gebildeten Menschen voller<br />
Geist, intelligenz und Neugier. ohne<br />
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wirtschaftliche und politische eu kann es<br />
wahrscheinlich auch keine kulturelle eu geben.<br />
Doch das Gegenteil ist genauso wahr:<br />
ohne Kultur wird es mit Wirtschaft und<br />
politik allein nicht klappen, jedenfalls nicht<br />
auf lange sicht. Die eu braucht ein Bindemittel,<br />
und das kann nur aus einer anderen<br />
sphäre kommen, einer sphäre, zu der jedes<br />
land, egal, wie klein und politisch umstritten,<br />
einen Beitrag leisten kann.<br />
auch wenn es vielleicht nicht sehr offenkundig<br />
ist – es zeigt sich aber in mehr<br />
als einer hinsicht – die Menschen streben<br />
nach mehr als Geld. Zumindest in europa.<br />
Kommen wir also zum schluss: Falls der<br />
Balkan wirklich nach europa zurückkehrt,<br />
muss er als Name, als substantiv, und nicht<br />
als Verb zurückkehren.<br />
Aus dem Englischen von Hainer Kober<br />
Slavenka Drakulić ist eine der bekanntesten<br />
kroatischen Schriftstellerinnen. Ihre Romane und<br />
Sachbücher wurden in viele Sprachen übersetzt,<br />
acht davon bisher ins Deutsche. Zuletzt erschien<br />
von ihr die Monografie „Leben spenden: Was<br />
Menschen dazu bewegt, Gutes zu tun“ (Wien<br />
2008). Sie lebt in Wien und Istrien.