20 118 Bozen im Laufe der Jahrhunderte viEr stadtrundgängE 21 21 viEr stadtrundgängE 119
• Waltherplatz • dom • Kapuzinerkloster • dominikanerkirche und -kreuzgang • museion undenkbar, eine Besichtigung Bozens von anderswo zu starten als vom Waltherplatz, der <strong>nach</strong> der Fertigstellung des unterirdischen Parkhauses und <strong>nach</strong>dem (1985) das Denkmal seines Namensgebers, des Mittelalter-Dichters Walther von der Vogelweide, wieder an seinem ursprünglichen 21 Walther von der Vogelweide (1170- 1230), zählt zu den bedeutendsten Dichtern der von ihm tiefgreifend erneuerten höfischen Lyrik des deutschen Sprachraumes. Wie fast mit Sicherheit anzunehmen ist, entstammt er einer österreichischen Kleinadelsfamilie, lebte an deutschen Fürstenhöfen und hatte regen Anteil an den kulturellen und politischen Ereignissen einer Zeit, in der die beiden großen Mächte Kaiserreich und Papsttum heftig aufeinanderprallten. In seinen politischen Dichtungen erweist er sich als unermüdlicher Verfechter kaiserlicher Ideale und sieht in dem weltlichen Herrscher den Garanten für die Aufrechterhaltung moralischer Werte: nur der Kaiser vermag die Welt vor dem Chaos zu bewahren, das durch den Mangel an “pax et justitia” auszubrechen droht und seine Aufgabe ist es auch, den Gegenpol zu dem weltlichen Machtstreben der römischen Kirche darzustellen, der Walther in seinen religiösen Gedichten eine authentische, reine, auf Armut und Demut statt auf die Weltherrschaft ausgerichtete Kirche entgegensetzt. Die höchste Vervollkommnung erreichte der Dichter in seiner Liebeslyrik, derentwegen er heute hauptsächlich Bekanntheit 120 vier Stadtrundgänge viEr stadtrundgängE • 1. Besichtigungstour genießt: es gelang ihm, die Erstarrung der Themen und Formen des Minnegesangs abzuschütteln und persönliche, tief empfundene, gefühlvolle Elemente mit realistischer Darstellungskraft zu verbinden, sodaß in seinen Gedichten das Erleben der Liebe wieder menschliche Dimensionen annimmt, angereichert mit psychologischen Erkenntnissen, Stimmungsbildern und Landschaftsschilderungen. Walther selbst maß seinen Poesien prophetische, moralische und erzieherische Aufgaben bei und wandte sich in ihnen an Fürsten und kirchliche Würdenträger, damit sie zu unterscheiden lernten zwischen Gut und Böse, zwischen Schein und Wahrheit; dabei stellt er selbst sich stets auf seiten der Wahrheit und Gerechtigkeit, der wahren Liebe und der sie verkörpernden Frau, sowie des <strong>nach</strong> seinen inneren Werten zu messenden Mannes. Diese innere Einstellung, eine Mischung aus heftiger moralischer Anspannung und gleichzeitigem grüblerischen Bewußtsein, kommt auch in seinem Denkmal zum Ausdruck, das den Dichter mit der Laute in der Hand auf hohem Sockel, flankiert von zwei Löwen mit Wappenschildern, darstellt. Platz aufgestellt worden war, seine natürliche Bestimmung als zentraler Platz Bozens zurückgewonnen hat. Ursprünglich 1808 von Maximilian von Bayern geschaffen, verdankt der Waltherplatz sein heutiges Aussehen den Bautätigkeiten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, als <strong>nach</strong> der Errichtung des Hotel Greif (1884) und des Hotel-Café Kompatsch (1887, heute Sitz der BNL-Bank) die Westseite des Platzes (1906) adaptiert und das Stadt Hotel (1912, ehemalige Oberschule) eingeweiht wurden. Die Sparkasse stammt aus dem Jahr 1953, fügt sich aber gut in das Ensemble ein. Das aus weißem Lasamarmor in neoromanischem Stil ausgeführte Waltherdenkmal des Vintschgauer Bildhauers Heinrich Matter (1889) ist in seinen Größenverhältnissen perfekt an die umliegenden Gebäude angepaßt; das ganze Ensemble erscheint dadurch im goldenen Schnitt ausgeführt. Dank der einheitlichen Stilelemente, eleganten Verzierungen und der heiter-unbeschwerten Ausführung der einzelnen Bauwerke, strahlt der Platz die dem 19. Jahrhundert eigene harmonische Atmosphäre ruhigen Wohlstands aus: die rhythmische Abfolge der Fensteröffnungen, Bögen, Balustraden, die Geländer und Gesimse, die Erker und Konsolen, das durch Kamine und Mansarden belebte Spiel der Giebel und Dächer, all dies ist Ausdruck einer architektonischen Konzeption, die eine naturnahe Harmonie zwischen 21 praktischen und ästhetischen Anforderungen herzustellen trachtet. Kaffeehäuser, Bänke und Sitze laden zum Verweilen, um die Atmosphäre dieses Platzes in Ruhe auf sich einwirken zu lassen und den Lebenspuls dieser Stadt zu erfühlen. Mit dem Rücken zum Waltherdenkmal blicken wir auf den Dom. Von hier aus präsentiert er sich in seiner interessantesten und bekanntesten Ansicht. Vor uns liegt die Nordseite mit dem Chor, aus dem sich die Gnadenkapelle aus dem 18. Jahrhundert hervorschiebt, und mit dem Turm, der zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Der Bau der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt wurde 1295 in romanischem Stil durch lombardische Bauleute begonnen und seit 1340 in gotischem Stil durch schwäbische Steinmetze fortgesetzt; durch diese Überlagerung der verschiedenen Stilelemente ist der Dom heute als 121 beispielhaft für die Bozner “Baukultur” anzusehen. Ab 1501 bis 1519 errichtete der deutsche Meister Hans Lutz den gotischen Glockenturm, wohingegen die barocke Gnadenkapelle Mitte des 18. Jahrhunderts von dem italienischen Architekten Giuseppe Dellai hinzugefügt wurde. Die Stadtpfarrkirche ist das hervorragendste Zeugnis gotischer Architektur der ganzen Region. Ihr Charakteristikum ist ihre elegante Schlankheit, die durch die verlängerten Stützpfeiler der Fenster, die steil aufragenden Dachflächen, die langgezogene Zuspitzung des Glockenturmes bewirkt wird. Mit diesen stilistischen Kunstgriffen versuchte die Gotik, das Streben der Seele zu Gott auszudrücken, einer Seele, die von jeglichem materiellen Gewicht befreit sich emporschwingt zu den Gefilden reiner Vergeistigung. Im Bemühen um diesen Ausdruck LEITACHER TÖRL