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PFARRKIRCHE:<br />

DIE KANZEL<br />

VON HANS LUTZ<br />

(1514)<br />

trachten die Baumeister der Gotik<br />

stets, die drückende Schwere<br />

der tragenden Mauern zu mildern,<br />

indem sie mit zartem Maßwerk<br />

reichverzierte Fenster einfügen,<br />

die vertikalen Druckkräfte<br />

durch dünne, aufsteigende Bögen<br />

auffangen und den Bau zusätzlich<br />

mit zerbrechlich anmutenden<br />

Gesimsen, Fialen und Brüstungen<br />

versehen. Sämtliche vertikale<br />

Linien laufen zusammen und<br />

vereinigen sich in der 18m ho-<br />

21<br />

henKirchturmspitze. Diese<br />

zeigt Maßwerk<br />

in seiner höchstenVollendung:<br />

wie ein<br />

Spitzengewebe,<br />

durchschimmert<br />

vom Blau<br />

des Himmels,<br />

scheint sie sich<br />

in der Luft fast<br />

aufzulösen.<br />

Auf der<br />

Chorseite liegt<br />

das “Leitacher Törl”, so benannt<br />

<strong>nach</strong> dem vor diesem Tor<br />

ausgeübten Privileg des alleinigen<br />

Weinausschanks. Die Verzierungen<br />

um das Tor gehören zu<br />

den filigransten und wertvollsten<br />

gotischen Skulpturen, die<br />

der Dom aufzuweisen hat.<br />

Auch die Skulpturen, unverzichtbare<br />

Ergänzung der gotischen Architektur,<br />

sind Ausdruck der damaligen<br />

Geisteshaltung und Frömmigkeit;<br />

diese manifestiert sich<br />

besonders im harmonischen, fließenden<br />

Schwung der Linien, der<br />

den Figuren eine den vorangegangenen<br />

Kunstformen noch völlig<br />

fremde Lebendigkeit und Würde<br />

verleiht, menschliche Gefühle anspricht<br />

und an himmlische Glückseligkeit<br />

gemahnt; die Drapierungen,<br />

der reiche Faltenwurf tragen<br />

entschieden dazu bei, die Schönheit<br />

der Figuren hervorzuheben,<br />

unterstreichen die Gesten, verdeutlichen<br />

Haltung und Ausdruck,<br />

lassen die Gestalten einmal graziös<br />

und elegant, dann wieder würdevoll<br />

und edel erscheinen.<br />

Am Fuße des Glockenturms be-<br />

122<br />

vier Stadtrundgänge viEr stadtrundgängE<br />

findet sich ein wunderschönes<br />

Fresko mit einer Kreuzigungsszene:<br />

Maria, Johannes, die Hl.<br />

Barbara und die knienden Stifter<br />

finden sich zu beiden Seiten<br />

des Kreuzes mit dem sterbenden<br />

Christus ein; in diesem Werk aus<br />

der Veroneser Schule des ausgehenden<br />

14. Jahrhunderts gesellen<br />

sich zu der strengen Raumeinteilung,<br />

wie wir sie aus der<br />

Schule Giottos kennen und wie<br />

sie sich auf diesem Fresko in der<br />

Christusfigur manifestiert, die<br />

Eleganz der Gewänder und des<br />

Kopfschmucks, die Verzierungen<br />

und Verschönerungen der stehenden<br />

Figuren aus der Hochblüte<br />

der internationalen Gotik, wie<br />

sie von Verona ausgehend letztlich<br />

ganz Italien beherrscht hat.<br />

Eine phantasieanregende Kuriosität<br />

sollte nicht unerwähnt<br />

bleiben: seitlich links neben<br />

dem eben geschilderten Fresko<br />

befindet sich ein kleines Votivbild,<br />

das einen rastenden Wanderer<br />

zeigt, der durch eine herabfallende<br />

Glocke aus dem Schlaf<br />

gerissen wird.<br />

Weiter längs der Nordseite erreicht<br />

man rechter Hand das<br />

Hauptportal in der einfachen<br />

Giebelfassade mit Radfenster aus<br />

dem 14. Jahrhundert; ihm vorgesetzt<br />

ist ein romanisches Vorhäuschen<br />

mit zwei polygonalen<br />

Säulen auf großen Löwen, von<br />

denen aber nur der rechte noch<br />

original erhalten ist. Das wunderschöne<br />

Holzportal von Hanns<br />

Heim (1521) mit Reliefdarstellungen<br />

der Verkündigung und der<br />

vier Evangelisten, ein wertvolles<br />

Zeugnis der Renaissanceeinflüs-<br />

se auf deutsche Bildhauerkunst,<br />

wird <strong>nach</strong> den jüngst erfolgten<br />

Restaurierungsarbeiten im Stadtmuseum<br />

aufbewahrt.<br />

Das links vom Hauptportal befindliche<br />

Fresko thronende Maria<br />

mit Jesuskind mit Phantasiehintergrund<br />

wird durch N.Rasmo dem<br />

Künstler Hans Pacher zugeschrieben<br />

(Ende 15. Jahrhundert).<br />

Das Kircheninnere wird beherrscht<br />

durch die drei gleichhohen<br />

Schiffe, einer Eigenheit der<br />

spätgotischen Bauform sogenannter<br />

“Hallenkirchen”; durch keine<br />

Seitenwände behindert, wirken<br />

die 10 Pilaster besonders schlank,<br />

ein Eindruck, der sich weiter oben<br />

durch die elastisch anmutenden,<br />

eleganten spitzbogigen Kreuzgewölbe<br />

noch weiter verstärkt. Die<br />

rhythmische Abfolge der Bögen<br />

verleiht dem Kircheninneren eine<br />

besonders harmonische, einheitliche<br />

Atmosphäre. Das durch die<br />

großzügigen Fenster einströmende<br />

Licht verteilt sich gleichförmig<br />

auf den ganzen Innenraum und<br />

unterstreicht noch die Funktionalität<br />

des Tragewerkes, hebt dessen<br />

Schönheit, die Klarheit seiner<br />

Linien und Formen noch mehr<br />

hervor. Architektonischer Höhepunkt<br />

ist der von einem Umgang<br />

mit Fenstern eingerahmte Chor,<br />

ein wahres Meisterwerk der Gotik,<br />

in den sich abschließend die barocke<br />

Gnadenkapelle einfügt.<br />

Der Dom enthält bedeutende<br />

Malereien und Skulpturen.<br />

An der Innenfassade Szenen aus<br />

der Christophorus-Legende von<br />

Friedrich Pacher. An der rechten<br />

Wand Szenen der Hll. Dorothea<br />

und Martha, Fresken eines ita-<br />

21<br />

lienischen Meisters aus der Mitte<br />

des 14. Jahrhunderts. Darüber<br />

ein dreiteiliges Fresko mit Papst<br />

Urban V von der Hand eines emilianischen<br />

Künstlers <strong>nach</strong> 1370.<br />

Unter dem Triumphbogen befindet<br />

sich eine ehemals aus der Dominikanerkirche<br />

stammende Kreuzigung<br />

aus dem 14. Jahrhundert.<br />

Die Kanzel, ein Meisterwerk der<br />

Spätgotik, mit reich gegliedertem<br />

Fuß und beeindruckendem<br />

Maßwerk sowie Reliefs der vier<br />

Kirchenlehrer mit Evangelistensymbolen,<br />

ist ein Werk des Hans<br />

Lutz von 1514. Die vier Altäre in<br />

den Seitenschiffen sind neugotisch<br />

und stammen aus dem ausgehenden<br />

19. Jahrhundert.<br />

Der großartige Barockaltar ersetzt<br />

seit 1720 den seinerzeitigen<br />

hölzernen geschnitzten<br />

Hauptaltar von Hans Judenburg<br />

von 1420.<br />

Von Jacopo Pozzo entworfen<br />

und von G. Battista Ranghieri in<br />

Verona ausgeführt, mit 12 Statuen<br />

von Domenico Allio versehen,<br />

ist der Hauptaltar Ausdruck<br />

jener architektonischen Auffassung,<br />

die als Antithese zur Gotik<br />

bezeichnet werden könnte: während<br />

die Gotik auf Transzendenz<br />

ausgerichtet ist, versucht der barocke<br />

Stil, alles Göttliche auf die<br />

menschliche Gefühlsebene zu reduzieren.<br />

Die durch die Zergliederung<br />

der Basislinien und des Balkenwerks<br />

erzielte Vervielfältigung<br />

des Räumlichen sowie die Variierung<br />

der Flächen durch die konzentrische<br />

Anordnung der Säulen<br />

und Statuen finden ihre volle stilistische<br />

Übereinstimmung in der<br />

Haltung der Figuren, deren Ge-<br />

123<br />

stik und Bewegung Ausdruck einer<br />

Durchgeistigung sind, die Gott<br />

in der Fülle der seelischen Empfindungen<br />

erkennt.<br />

Die Gnadenkapelle besitzt Dekkenfresken<br />

von Karl Henrici<br />

(1771) mit Szenen aus dem Leben<br />

Mariä. Den Altar schmückt<br />

eine Madonnenstatue mit Jesuskind,<br />

eine Arbeit aus der Veroneser<br />

Schule um 1200 aus bemaltem<br />

Marmor. Eine Legende besagt,<br />

daß sie von einem Fuhrmann im<br />

sumpfigen Schilf an der Stelle ge-<br />

WANDMALEREIEN<br />

IN DER<br />

ST.JOHANNES-<br />

KAPELLE

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