deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...
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Umbr_DuE53.qxd 10.04.2007 14:00 Uhr Seite 15<br />
friedliche Weiterentwicklung des Islam und warnte vor »irrationalen<br />
Reaktionen« des Westens. 2003 befürwortete er als inzwischen<br />
langjähriger Berater des Weißen Hauses für Nahostfragen<br />
den Irakkrieg. In den US-Medien ist der inzwischen Neunzigjährige<br />
nach wie vor häufig präsenter Nahost-Experte. Dass seine<br />
und Huntingtons Sicht inzwischen den Diskurs in Europa beeinflussen,<br />
zeigt der Artikel von Egon Flaig. Er kann als Resümee ihrer<br />
Ideen gelesen werden.<br />
Der »Kampf der Kulturen« ist wegen seiner verführerischen Eingängigkeit<br />
und vermeintlichen Plausibilität inzwischen ein populäres<br />
Schlagwort. In diesem Zusammenhang spielen die unreflektierten<br />
Vorstellungen von den Kreuzzügen im kollektiven und im<br />
individuellen historischen Bewusstsein eine nicht zu unterschätzende<br />
Rolle als vermeintlicher historischer Beleg und als mögliches<br />
Konfliktbewältigungsmodell. Sie bereiten den Boden für das<br />
neue Identitätsangebot: Europa als bedrohte Opfergemeinschaft.<br />
Auch wenn im offiziellen politischen Diskurs über und mit dem<br />
Islam die Erwähnung der Kreuzzüge vermieden wird, lässt sich<br />
doch ahnen, dass die Kreuzzüge im Zusammenhang dieses aktuellen<br />
Paradigmas eine enorme Virulenz mit möglicherweise fatalen<br />
Konsequenzen entfalten könnten, wenn sich Lewis These von<br />
der unausweichlichen und ererbten Feindschaft weiter festsetzt.<br />
Einige Spielzeugsoldaten tragen immerhin schon eine neue<br />
Bezeichnung: »Freiheitskämpfer«. Mit Ahlers lässt sich zusammenfassen:<br />
»Das Kreuzzugsbewusstsein ist immer auch ein<br />
Krisenbewusstsein und verstärkt dieses durch systematische<br />
Angstproduktion. Der identitätspolitische Gebrauchswert des<br />
Kreuzzugsbewusstseins liegt in der Selbstmobilisierung einer Gesellschaft.«<br />
(Ahlers, S. 80)<br />
Wie werden die Kreuzzüge im Nahen Osten erinnert?<br />
Das Interesse vor dem 19. Jahrhundert war gering. Erst die Einführung<br />
westlicher Geschichtsbücher machte die Kreuzzüge als historisches<br />
Phänomen bewusst. Im Osmanischen Reich wurde es<br />
Ende des 19. Jahrhunderts üblich, die damalige Politik der europäischen<br />
Mächte mit den Kreuzzügen zu vergleichen. Nach den<br />
beiden Weltkriegen war die Berufung auf die Kreuzzüge und Saladin<br />
nicht mehr wegzudenken aus der arabischen Rhetorik, vor<br />
allem gegen Israel, das historisch unrichtig aber wirkungsvoll als<br />
neue Kreuzfahrergründung verstanden wurde und wird. Immer<br />
wieder werden Politiker wie z. B. Nasser, Sadam Hussein oder<br />
jüngst Scheich Nasrallah mit Saladin verglichen. Protoimperialistisch<br />
gedeutet, wirken die Kreuzzüge auch im Nahen Osten als<br />
Paradigma, jetzt für den Umgang des Westens mit den arabischen<br />
Staaten und dem Islam. Die Wendung »Allianz der Kreuzfahrer<br />
und Zionisten« oder ähnliche Formulierungen zur Bezeichnung<br />
der USA oder des Westens gehören zu den Stereotypen Osama bin<br />
Ladens (I M9I). Die Kreuzzüge stiften auch hier Identität, indem<br />
sie negativ integrieren (I M8I). Es erstaunt kaum noch, dass auch<br />
Israel die Kreuzfahrerstaaten für sich entdeckt hat. Man fragt sich<br />
dort, welche Lehren aus dem als analog aufgefassten Schicksal<br />
der Kreuzfahrerstaaten für das Überleben Israels gezogen werden<br />
können.<br />
Wie sich gezeigt hat, sind die Kreuzzüge »europäische Meistererzählungen«<br />
(Schneidmüller, in Gaube, S. 180), die immer neu und<br />
anders erzählt werden. Sollten sie nicht auch als solche im Unterricht<br />
thematisiert werden? Schüler könnten an ihnen lernen, Wandel,<br />
Bedeutung und Funktionen historischer Erzählungen als Formen<br />
kollektiven Erinnerns zu analysieren und zu interpretieren.<br />
Das wäre eine Kompetenz, die am Beispiel der Kreuzzüge im Zusammenhang<br />
der Frage nach einer europäischen Identität erworben<br />
werden könnte.<br />
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Internetlinks<br />
www.bpb.de dort: Fundamentalismus bzw. Feindbilder<br />
15<br />
Heft 53 · 2007<br />
Die identitätsstiftende Kraft der Kreuzzüge