deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...
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Umbr_DuE53.qxd 10.04.2007 13:59 Uhr Seite 5<br />
einem erhöhten Eskalationsrisiko für Konflikte<br />
einhergehen.<br />
• So konnte Andrej Tusicisny (2004) zeigen, dass<br />
die Eskalationswahrscheinlichkeit für Konflikte<br />
zwischen Andersgläubigen höher ist als für<br />
Gleichgläubige. Während sich nach 1989 nur<br />
24 Prozent der Konflikte zwischen Gleichgläubigen<br />
zu Kriegen entwickelten, waren es zwischen<br />
Andersgläubigen 54 Prozent aller Auseinandersetzungen.<br />
Zwischen Gleichgläubigen<br />
gibt es also offenkundig mehr Konflikte geringerer<br />
Intensität, die nicht eskalieren, während<br />
zwischen Andersgläubigen relativ wenige Konflikte<br />
unabhängig vom Eskalationsniveau auftreten.<br />
Wenn es aber zu einem Konflikt geringer<br />
Intensität kommt, dann ist das Risiko groß,<br />
dass er sich zu einem Krieg auswächst.<br />
• Jonathan Fox (2004) stellt fest, dass religiöse<br />
Diskriminierung oder religiöse Unzufriedenheit<br />
mit dem politischen Status quo allein nur<br />
sehr selten Gewaltkonflikte nach sich ziehen.<br />
Wenn aber religiöse Diskriminierung oder religiöse<br />
Unzufriedenheit zu einem Macht- oder<br />
Wohlfahrtskonflikt hinzukommen, dann eskalieren<br />
diese Konflikte ungewöhnlich oft.<br />
Religiöse Unterschiede und religiöse Unzufriedenheit<br />
wirken also in politischen Konflikten nicht als Brandursache,<br />
sondern als Brandbeschleuniger. Sie legen das Feuer nicht,<br />
an dessen Ausbreitung sie dann beteiligt sind. Damit ergänzen<br />
und bestätigen quantitativen Studien eine in der qualitativen Forschung<br />
gut dokumentierte Vermutung: Konflikte eskalieren<br />
schneller und heftiger, wenn politische Eliten sie mit religiöser<br />
Symbolik anreichern (Appleby 2000; Juergensmeyer 2000; Krech<br />
2002). Ein einschlägiges Beispiel für eine solche Instrumentalisierung<br />
religiöser Differenzen durch gewaltbereite Eliten ist der<br />
Rückgriff Slobodan Milosevics auf christliche Symbolik im bosnischen<br />
Bürgerkrieg. Die staatlichen Medien setzten das bosnische<br />
Unabhängigkeitsstreben mit Judas’ Verrat gleich und verklärten<br />
die Geschichte des eigenen Volkes zur permanenten Passion.<br />
Muslime verloren als Aggressoren und Gottesfeinde jeden Anspruch<br />
auf Schonung. Sie wurden zu Vogelfreien erklärt, die mit<br />
äußerster Brutalität vertrieben werden durften.<br />
Vier Merkmale von Glaubensgemeinschaften<br />
verringern der Risiko der Instrumentalisierung<br />
religiöser Traditionen<br />
Abb. 1 Gedenken an Srebrenica-Massaker in Den Haag<br />
Rund 250 Personen erinnerten am 11. 7. 2005 an den zehnten Jahrrestag des Massakers von Srebrenica,<br />
bei dem rund 8.000 muslimische Männer ihr Leben verloren. Die niederländischen UN-Soldaten<br />
mussten zuvor dem Druck der bosnisch-serbischen Armee weichen und die Enklave räumen. © dpa<br />
wohl wissend, dass diese Interpretation immer nur vorläufig sein<br />
kann. Arbeiten zum Zusammenhang von Religion und Gewalt zeigen<br />
nun regelmäßig, dass Glaubensüberlieferungen vor allem<br />
dann eskalierend wirken, wenn sie selektiv interpretiert werden<br />
(Almond/Sivan/Appleby 2003: 90–116; Little 1996: 81–83; Rapoport<br />
1993: 448). Während diejenigen Traditionen von militanten<br />
Bewegungen betont werden, die Gewalt im endzeitlichen Kampf<br />
mit aggressiven Frevlern als angemessen erscheinen lassen und<br />
möglicherweise sogar fordern, werden gegenläufige Überlieferungen,<br />
welche die fundamentale Würde aller Menschen hervorheben<br />
oder die den Gläubigen Wege des friedlichen Wandels<br />
nahe legen, unterdrückt. Des weiteren zeigen Studien, dass diese<br />
Vereinfachungsstrategien um so erfolgreicher sind, je geringer<br />
die religiöse Bildung innerhalb der Konfliktgruppen ist. Scott<br />
Appleby beispielsweise macht den »religiösen Analphabetismus«<br />
von Serben und Kroaten dafür verantwortlich, dass die Bevölkerung<br />
die serbische und kroatische Gewaltpolitik ohne erkennbare<br />
Ablehnung zuließ. Umgekehrt zeichnen sich religiöse Friedensbewegungen<br />
in der Regel durch ein hohes Verständnis für die Komplexität<br />
ihrer Traditionen aus, die jeder simplen Schwarz-Weiß-<br />
Malerei entgegensteht (I M6I).<br />
5<br />
Wenn die Instrumentalisierung religiöser Traditionen durch gewaltbereite<br />
Eliten immer wieder Eskalationsprozesse beschleunigt<br />
und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Konflikte mit Gewalt<br />
ausgetragen werden, dann stellt sich die Frage, wie sich religiöse<br />
Traditionen vor politischer Vereinnahmung schützen lassen. Wir<br />
werden in unserem Beitrag einen vorsichtigen Antwortversuch<br />
wagen. Dabei setzen wir voraus, dass es keine Weltreligion gibt,<br />
die von ihrem Wesen her besonders gewalttätig oder besonders<br />
friedensförderlich ist (vgl. Cox 1994; Rapoport 1993). Hieraus<br />
folgt, dass wir nicht versuchen wollen, konfliktrelevante Merkmale<br />
zwischen Religionen zu identifizieren. Vielmehr fahnden wir<br />
nach Merkmalen von Glaubensgemeinschaften in allen Religionen,<br />
welche ihre Vereinnahmung in politischen Machtkämpfen<br />
erschweren. Vier Merkmale könnten hierbei von Bedeutung sein:<br />
(1) Religiöse Aufklärung<br />
Unter religiöser Aufklärung verstehen wir die Achtung vor der<br />
Komplexität religiöser Traditionen. Dabei macht die Komplexität<br />
der Traditionen es notwendig, sie vernünftig zu interpretieren –<br />
(2) Ökumenisches Bewusstsein<br />
Der Begriff des ökumenischen Bewusstseins wurde von Karl-Josef<br />
Kuschel (2001) geprägt. Ein ökumenisches Bewusstsein (I M5I)<br />
zeichnet die grundsätzliche Anerkennung der inneren Würde anderer<br />
Religionen aus, ohne dass dies freilich zur religiösen Beliebigkeit<br />
führen würde. Mit einem ökumenischen Bewusstsein verbindet<br />
sich also ein grundlegender Respekt vor fremden<br />
Traditionen, der sich aus der Erkenntnis gemeinsamer Werte und<br />
Abhängigkeiten ableitet. Im Gegensatz zum ökumenischen Bewusstsein<br />
steht ein exklusives Selbstverständnis, nach dem es<br />
kein Heil außerhalb der eignen Religion geben kann.<br />
In einer Studie zu zwei islamischen Bewegungen in Besatzungssituationen<br />
kann Michael Hörter zeigen, dass unter sonst durchaus<br />
vergleichbaren Bedingungen ökumenisches Bewusstsein mit gewaltfreiem<br />
Widerstand einhergeht, während ein exklusives Heilsverständnis<br />
gewaltsamen Widerstand nach sich zieht. Hierzu untersuchte<br />
er die paschtunischen Khudai Khidmatgars, eine islamische<br />
Bewegung, die sich erfolgreich gegen die britische Kolonialmacht<br />
auflehnte, und die Hamas in ihrem Kampf gegen Israel. Während<br />
Heft 53 · 2007<br />
Religionen als Brandbeschleuniger und Friedenskräfte