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deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

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Umbr_DuE53.qxd 10.04.2007 13:59 Uhr Seite 4<br />

II. Religiöse und politische<br />

Um Gottes Willen<br />

1.<br />

Identitätskonflikte<br />

Krieg? Religionen<br />

als Brandbeschleuniger und<br />

Friedenskräfte in Krisenregionen<br />

Andreas Hasenclever / Michael Hörter<br />

4<br />

Seit Ende der achtziger Jahre beobachten Soziologen<br />

in weiten Teilen der Welt eine Renaissance der Religionen.<br />

Diese Renaissance löst bei Zeitgenossen gerade in westlichen<br />

Industriegesellschaften Besorgnis aus: Denn offensichtlich<br />

gehen Religion und Gewalt in zahlreichen Konflikten der Gegenwart<br />

eine unheilige Allianz ein. Im Namen des Heiligen wird<br />

gebombt und gemordet. Ein kurzer Blick auf internationale<br />

Konfliktstatistiken zeigt jedoch, dass zwischen Religion und<br />

politischer Gewalt kein einfacher Zusammenhang besteht.<br />

Trotz des weltweiten Erstarkens religiöser Bewegungen hat<br />

die Zahl bewaffneter Auseinandersetzungen mit mehr als<br />

25 Todesopfern seit Mitte der neunziger Jahre stark abgenommen.<br />

Gleichzeitig treten in vielen Konflikten religiöse Würdenträger<br />

auf, die sich mit Nachdruck für deren friedliche Beilegung<br />

einsetzen. Denken wir nur an Desmond Tutu in Südafrika<br />

oder an Ali al-Sistani im Irak. Die Verbindung von Religion und<br />

Politik führt also nicht zwangsläufig zur Eskalation von Auseinandersetzungen.<br />

Vielmehr lässt sich auch beobachten, dass<br />

Religionen als Friedenskräfte wirken. Für die Politikwissenschaft<br />

stellt sich damit die Frage, wie sich dieser ambivalente<br />

Befund erklären lässt und wie sich Strategien entwickeln lassen,<br />

um auf der einen Seite das Eskalationspotential von Religionen<br />

zu verringern und auf der anderen Seite ihre Friedenskräfte<br />

zu stärken.<br />

Leitthesen<br />

In unserem Beitrag wollen wir drei Thesen wagen:<br />

(1) Religiöse Überlieferungen sind in kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

selten die Ursache des Konflikts. Vielmehr werden<br />

Kriege in aller Regel aus politischen und wirtschaftlichen<br />

Gründen geführt.<br />

(2) Religiöse Traditionen werden von gewaltbereiten Eliten häufig<br />

benutzt, um in Konflikten Gefolgschaft und Gewaltbereitschaft<br />

zu motivieren.<br />

(3) Die Gefahr, dass Religionen von Eliten missbraucht werden,<br />

lässt sich abschwächen, in dem man sie vor Vereinnahmungen<br />

schützt. Nach unserer Überzeugung spielen in diesem Zusammenhang<br />

vier Merkmale von Religionsgemeinschaften eine besondere<br />

Rolle: Eine hohe religiöse Aufklärung, ein starkes ökumenisches<br />

Bewusstsein, eine selbstbewusste Autonomie von<br />

der Politik und intensive transnationale, ökumenische oder interreligiöse<br />

Vernetzungen mit anderen Friedenskräften.<br />

Religiöse Differenzen sind keine Kriegsursache<br />

Der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington<br />

prognostizierte 1996, dass religiöse Differenzen die zentralen<br />

Konfliktlinien des 21. Jahrhunderts markieren würden. Der von<br />

ihm geprägte Begriff des »Kampfs der Kulturen« (»Clash of Civilizations«((M<br />

3I)) ist heute zwar in aller Munde, seine Erwartungen<br />

hielten einer wissenschaftlichen Überprüfung aber nicht stand:<br />

Mit Blick auf die internationale Politik zeigen eine Reihe von Studien,<br />

dass das Kriegsrisiko zwischen Staaten aus unterschiedlichen<br />

Religionskreisen nicht signifikant höher ist als das Kriegsrisiko<br />

zwischen Staaten aus ein und demselben Religionskreis<br />

(Chiozza 2002; Gartzke/Gledisch 2006). Außerdem ist seit dem<br />

Ende des Kalten Krieges keine Zunahme interreligiöser Konflikte<br />

feststellen. Ganz im Gegenteil (I M1I, I M2I): Der Anteil sogenannter<br />

»Zivilisationskonflikte« am globalen Konfliktvorkommen<br />

ist für den Zeitraum von 1989 bis 2001 deutlich geringer als für<br />

den Zeitraum von 1945 bis 1989. Deshalb lassen sich internationale<br />

Gewaltkonflikte nach wie vor plausibel als Macht- und Interessenrivalitäten<br />

interpretieren, die mit religiösen Differenzen<br />

einhergehen können, es aber nicht müssen (Müller 1998).<br />

Ein ähnliches Bild zeigt die Analyse von Bürgerkriegen (Fearon/<br />

Laitin 2003; Fox 2004). Zwar gab und gibt es viele blutige Auseinandersetzungen,<br />

in denen sich Andersgläubige gegenüberstanden<br />

und -stehen. Denken wir nur an die Ausschreitungen in Thailand,<br />

Indonesien oder auf den Philippinen, an Nigeria, die<br />

Elfenbeinküste oder auch an den Kosovo und Tschetschenien.<br />

Aber es lassen sich weltweit etwa gleich viele Gewaltkonflikte<br />

ohne religiöse Konnotationen identifizieren. Angesichts dieser<br />

Zahlen können quantitative Untersuchungen keine herausgehobene<br />

Bedeutung von Glaubensunterschieden als Gewaltursache<br />

belegen. Das Kriegsrisiko einer Gesellschaft wird offenkundig<br />

nicht wesentlich von ihrer religiösen Struktur beeinflusst. Vielmehr<br />

zeigt sich immer wieder, dass sich Menschen auch ganz<br />

ohne Glaubensunterschiede zu Grunde richten können.<br />

Was sich in statistischen Studien allerdings immer wieder zeigt,<br />

ist die große Bedeutung ökonomischer und politischer Faktoren<br />

für die nationale Gewaltanfälligkeit (I M4I) (Collier/Hoeffler<br />

2002; Senghaas 1998). So wächst das Bürgerkriegsrisiko eines<br />

Landes in direkter Abhängigkeit von Wirtschaftskrise und Staatsverfall.<br />

Anhaltende Knappheit führt regelmäßig zu massiven Verteilungskonflikten<br />

zwischen konkurrierenden Eliten, welche weltweit<br />

die zentralen Gewaltakteure sind. Dabei gilt, dass Konflikte<br />

von der herrschenden Elite solange unterdrückt werden können,<br />

wie der staatliche Repressionsappart funktioniert. Aber in dem<br />

Maße, in dem das nationale Einkommen abnimmt, schwindet die<br />

staatliche Kontrollfähigkeit und entsprechend steigen die Anreize<br />

zur Bildung bewaffneter Oppositionsbewegungen durch Gegeneliten,<br />

was wiederum eine deutliche Erhöhung der Bürgerkriegsanfälligkeit<br />

eines Landes zur Folge hat. Es ist deshalb kein Zufall,<br />

dass bewaffnete Feindseligkeiten vor allem in krisengeschüttelten<br />

Regionen des Südens zu beobachten sind, während sie in den reichen<br />

Demokratien des Nordens außergewöhnlich selten bleiben.<br />

Was deshalb quantitative Studien zu Bürgerkriegen immer wieder<br />

betonen, ist die Notwendigkeit ökonomischer und politischer Reformen<br />

als Friedensstrategien, welche die Anreize für Gewaltstrategien<br />

bei organisationsfähigen Eliten senken sollen.<br />

Religiöse Traditionen werden zur Motivierung von<br />

Gewalt missbraucht<br />

Wenn religiöse Unterschiede nicht die Ursache von Gewaltkonflikten<br />

sind, welche Rolle spielen sie dann? Denn es ist nicht zu bestreiten,<br />

dass Gewalt und Glaube in vielen Konflikten eine unheilvolle<br />

Allianz eingegangen sind und immer wieder eingehen. Wir<br />

sind der Ansicht, dass Eliten die Religion häufig als eine Möglichkeit<br />

entdecken, um Gefolgschaft zu erzeugen und um Anhänger<br />

von der Legitimität gewaltsamen Handelns zu überzeugen. Wir<br />

haben es also in vielen Fällen mit kühl kalkulierenden politischen<br />

Unternehmern zu tun, welche die Renaissance der Religionen gezielt<br />

für ihre Zwecke einsetzen und religiöse Gefühle ausnutzen. In<br />

diesem Zusammenhang zeigen eine Reihe von quantitativen Studien,<br />

dass religiöse Differenzen dann, wenn sie sich mit vorgängigen<br />

Macht- und Interessenkonflikten verbinden, tatsächlich mit<br />

Religionen als Brandbeschleuniger und Friedenskräfte<br />

Heft 53 · 2007

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