01.11.2013 Aufrufe

deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Umbr_DuE53.qxd 10.04.2007 14:00 Uhr Seite 29<br />

Da der Konflikt zwischen dem spanischen<br />

Nationalstaat und »den Basken« sich u. a.<br />

aus ökonomischen Gründen entwickelt<br />

und als Identitäts-Konflikt ausgeprägt<br />

hatte, ist zumindest in der Rückschau klar,<br />

dass er sich mit dem Ende der Diktatur<br />

nicht in Luft auflösen würde.<br />

Die spanische Verfassung von<br />

1978 – ein Spagat<br />

Nach dem Tod Francos gehörte das Regionalismusproblem,<br />

nicht nur im Baskenland,<br />

sondern auch in Galizien und Katalonien<br />

und anderen Regionen, zu den<br />

schwierigsten Hinterlassenschaften.<br />

Die heutige spanische Verfassung versucht<br />

dieses Problem dadurch zu lösen,<br />

dass sie einerseits die »unauflösliche Einheit<br />

der spanischen Nation« festschreibt, aber ebenso »das Recht<br />

auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, aus denen sie<br />

sich zusammensetzt« (I M12I). Mit Walzer könnte man das als<br />

den Versuch sehen die strukturellen Voraussetzungen für eine Art<br />

»kollektive Toleranz« (S. 227, s. u.) zu ermöglichen.<br />

In dem so aufgespannten Feld bewegte und bewegt sich im neuen<br />

demokratischen Spanien der Kampf um die Kompetenzverteilung<br />

zwischen Gesamtstaat und den 17 Comunidades Autónomas (autonome<br />

Regionen). Die Autonomierechte reichen besonders weit<br />

in Katalonien und im Baskenland (s. u.). In Katalonien wird dieser<br />

Kampf nicht weniger verbissen geführt als im Baskenland, aber<br />

im Vergleich zum »Hautproblem der spanischen Innenpolitik«,<br />

nämlich der Befriedung des Baskenlandes, ist »der Fall Katalonien<br />

ein Spaziergang«. (ZEIT online, 9. 1. 2006)<br />

Die ETA nach Franco<br />

Bei der Volkabstimmung über die Verfassung stimmten in den<br />

baskischen Provinzen weniger als 50% der Abstimmungsberechtigen<br />

zu (Guipúzcoa 27,8%, Vizcaya 30,9%, Álava 42,3%), da vor<br />

allem die »unauflösliche Einheit der spanischen Nation« für baskische<br />

Nationalisten unannehmbar war (Bernecker, S. 21).<br />

Schon 1974 hatte sich die ETA in zwei Gruppen gespalten, in ETA<br />

militar und ETA político-militar. Letztere versuchte ihre Ziele mehr<br />

mit politischen Mitteln durchzusetzen und gründete 1977 die Partei<br />

Euskadiko Ezkerra (EE), um an den Wahlen teilnehmen zu können.<br />

1982 löste sich ETA político-militar auf und die EE wurde später<br />

Teil der PSE (Partido Socialista de Euskadi). Der politische Arm<br />

der ETA militar wurde die Partei Herri Batasuna (HB, »Vereintes<br />

Volk«), die die Attentate und militanten Aktionen der ETA in den<br />

Medien und im Parlament unterstützt(e). Die Anzahl der tödlichen<br />

Attentate vor allem gegen Polizisten, hohe Militärs, Mitglieder der<br />

Guardia Civil und Basken, die angeblich mit der Polizei zusammenarbeiteten,<br />

nahm in den ersten Jahren der Demokratie zu. So<br />

wurden im Zeitraum von 1968 bis 1978 insgesamt 72 Menschen ermordet,<br />

von 1978 bis 1980 239, also 80 pro Jahr. 1979 wurde das<br />

Statut von Guernica verabschiedet, das den Basken eine autonome<br />

Regierung, ein eigenes Parlament, die Gleichberechtigung ihrer<br />

Sprache, eine weitgehende Finanzautonomie sowie das Hoheitsrecht<br />

über die Justiz und das Bildungswesen garantiert. (I M13I).<br />

Alle politischen Parteien stimmten zu, mit Ausnahme der ETA und<br />

ihrer politischen Vertretung HB. Im Baskenland wurde das Statut<br />

mit großer Mehrheit angenommen bei etwa 40% Enthaltungen.<br />

Die Zerrissenheit der baskischen Gesellschaft zeigte sich zu diesem<br />

Zeitpunkt deutlich– auf der einen Seite gab es z. B. 1980<br />

einen Generalstreik aus Protest gegen die ETA im Baskenland, andererseits<br />

erhielt die HB, die politische Vertreterin der ETA bei den<br />

Regionalwahlen 1980 16,49% der Stimmen, was bedeutet, dass<br />

Abb. 1 Demonstration Zehntausender in Bilbao gegen den ETA-Terror, 2007 © dpa<br />

mehr als 150.000 Wähler die Aktivitäten der ETA gutheißen.<br />

Gleichzeitig entstand auch ein Klima der ständigen Einschüchterung.<br />

Die meisten Stimmen erhielten übrigens die gemäßigten<br />

Nationalisten, die PNV. Die nationalen spanischen Parteien spielten<br />

nur eine geringe Rolle.<br />

In die Zeit der sozialistischen Regierung in Madrid (1982–96) fielen<br />

erhebliche wirtschaftliche Probleme im Baskenland, vor<br />

allem, weil die Schwerindustrie veraltet war (I M10I). Außerdem<br />

blieben notwendige Investitionen auch wegen des ETA-Terrors<br />

aus, viele auch mittlere und kleine Unternehmer wurden gezwungen,<br />

»Revolutionssteuern« zu zahlen, um die ETA zu finanzieren<br />

und zogen es deshalb vor, in anderen Regionen zu investieren. Die<br />

Regierung in Madrid verfolgte eine mehrgleisige Strategie: einerseits<br />

suchte sie Verhandlungen mit der ETA, außerdem verhandelte<br />

sie mit Frankreich, um der ETA ihr Rückzugsgebiet abzuschneiden,<br />

und sie versuchten im Geheimen die ETA auf nicht<br />

legale Weise zu bekämpfen. Experten vermuten, dass letzteres die<br />

Rekrutierung neuer Mitglieder der ETA bis in die 90iger Jahre garantierte.<br />

Im Juni 1987 kam es zum ersten Massaker der ETA. In<br />

einem Supermarkt in Barcelona starben 21 Menschen. Aber auch<br />

dies minderte die Zustimmung bei den Wahlen für die ETA – nahe<br />

Herri Batasuna nicht. 1992 wurde in Frankreich die ETA-Führung<br />

festgenommen, eine vorübergehende Schwächung. Nach kurzer<br />

Zeit war eine neue Führung aufgestellt und die ETA-Kommandos<br />

waren erneut in der Lage, Attentate auszuführen.<br />

Ab 1995 verübte die ETA vermehrt Attentate gegen Politiker, auch<br />

Lokalpolitiker, Parteimitglieder oder Inhaber öffentlicher Ämter,<br />

z. B. Juristen. Eines der ersten Opfer war Gregorio Ordóñez<br />

(I M14I), Vorsitzender der PP in der Provinz Guipúzcoa, dessen<br />

Mörder erst vor kurzem, im Dezember 2006, zu 30 Jahren Haft verurteilt<br />

worden ist. Insgesamt waren unter den 83 ETA-Opfern von<br />

1995 bis 2003 mehr als ein Drittel, die ein öffentliches Amt bekleideten.<br />

Unter diesem Druck traten auch viele Gemeinderäte im<br />

Baskenland von ihren Ämtern zurück (von 2000 bis 2002 insgesamt<br />

30, in einer Kleinstadt blieben von 17 gewählten Gemeinderäten<br />

gerade 9 im Amt).<br />

Die Kale Borroka (Straßenkampf Jugendlicher, die zum Umfeld<br />

der ETA gehören) verübten allein zwischen 1993 und 2004 871 Anschläge<br />

gegen Parteibüros, Parteimitglieder, Gewerkschaftler,<br />

Medien und Organisationen, die sich gegen die ETA wandten. Die<br />

Parteibüros von PP und PSOE wurden 2002 zu »militärischen Zielen«<br />

erklärt. Aggressionen gegen Personen, die zum Beispiel die<br />

»blaue Schleife« trugen, Symbol, um gegen eine Entführung zu<br />

protestieren, oder Schmierereien mit Drohungen waren Teil des<br />

täglichen Lebens in Städten und Dörfern. 1997 kam es nach der<br />

Ermordung eines jungen Gemeinderats der Kleinstadt Ermua, Miguel<br />

Ángel Blanco, in ganz Spanien zu großen Protestveranstaltungen<br />

und Demonstrationen, gleichzeitig wurde die Protestbewegung<br />

gegen die ETA stärker.<br />

29<br />

Heft 53 · 2007<br />

Die baskische ETA – Abkehr vom Terrorismus?

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!