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deutschland & europa - lehrerfortbildung-gemeinschaftskunde ...

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Umbr_DuE53.qxd 10.04.2007 14:01 Uhr Seite 36<br />

II. Religiöse und politische<br />

Identitätskonflikte<br />

5. Fremdenfeindlichkeit und<br />

Rechtsextremismus in Europa<br />

Jürgen Kalb<br />

36<br />

Erstmals seit 13 Jahren gibt es 2007 wieder eine rechtsextreme<br />

Fraktion im Europäischen Parlament. Ihr gehören<br />

20 Abgeordnete aus Frankreich, Italien, Belgien, Großbritannien,<br />

Österreich sowie den neuen EU-Staaten Bulgarien und<br />

Rumänien an. Am 15. 1. 2007 konstituierte sich diese Fraktion<br />

unter dem Namen »Identität, Tradition und Souveränität (ITS)«<br />

(I M1I, I M3I). Ermöglicht wurde dieser Zusammenschluss im<br />

EU-Parlament durch die Aufnahme der beiden Neumitgliedstaaten,<br />

die zusammen sechs Abgeordnete vom rechten Rand<br />

ins Parlament entsenden. Außerdem brachte die Europawahl<br />

im Jahr 2004 bereits eine deutliche Zunahme rechts-extremistischer<br />

und rechtspopulistischer Abgeordneter (I M4I) und<br />

trotz der Spaltung der Rechtspopulisten in Österreich eine<br />

Verdoppelung der Anzahl der Abgeordneten gegenüber 1999.<br />

Von den demokratischen Fraktionen im EU-Parlament wurde<br />

der ITS vorgeworfen, sie sei ein reines Zweckbündnis, um parlamentarische<br />

Vorteile zu erhalten. In Wahrheit seien die Vorstellungen<br />

der einzelnen Parteien viel zu divergent (I M1I,<br />

I M2I).<br />

Was bedeutet Rechtsextremismus?<br />

Rechtsextremismus ist eine vage Sammelbezeichnung für Ideologien<br />

und Aktivitäten, die den demokratischen Verfassungsstaat<br />

ablehnen und durch eine autoritär geführte Volksgemeinschaft<br />

ersetzen wollen. Dabei wird ein eigenes Volkstum oder gar eine<br />

Rasse behauptet, um andere Menschengruppen abzuwerten und<br />

auszugrenzen (vgl. die Definition des deutschen Verfassungsschutzes<br />

I M7I). Rechtsextreme bezeichnen sich zumeist als<br />

»konservativ« oder »national«. Sie betonen jedoch stark die ethnische<br />

Zugehörigkeit als bestimmendes Merkmal der Nation und<br />

Grundlage ihrer Politik. Es wird behauptet, Menschen seien durch<br />

ihre biologische Abstammung kulturell soweit vorgeprägt, dass<br />

kein friedliches, gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Zusammenleben<br />

verschiedener Ethnien in einem Staat möglich sei. Das<br />

»Volk« wird dabei nicht immer rassistisch definiert, sondern neuerdings<br />

häufig im Sinne des Betonens der »Eigenarten der Völker«,<br />

was in der Wissenschaft als Ethnopluralismus beschrieben<br />

wird. Die Einstellungen und Werte der Rechtsextremisten könnte<br />

man somit als antidemokratisch, antiegalitär, antipluralistisch<br />

sowie autoritär, nationalistisch und ausländerfeindlich bezeichen.<br />

In den westlichen Ländern haben rechtsextremistische Parteien<br />

und Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg eine eher untergeordnete<br />

Rolle gespielt. Sie mobilisierten zumeist weniger als 10%<br />

der Wählerstimmen. Zu den größten rechtsextremen Parteien<br />

werden in der Regel Italiens MSI (Movimento Sociale Italiano) und<br />

der französische Front National (I M5I) gezählt. Die aus dem<br />

MSI hervorgegangene Alleanza Nazionale, die 1994–2006 mit<br />

der Forza Italia und der Lega Nord eine Regierungskoalition einging,<br />

war der erste Fall einer Regierungsbeteiligung der extremen<br />

Rechten in Europa. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts schnellten<br />

die Wahlergebnisse in einigen Ländern allerdings in die Höhe,<br />

was sich auch an den Europawahlen 2004 (I M4I) zeigte. Hier ist<br />

dabei zu berücksichtigen, dass aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung<br />

die Ergebnisse der Rechtsextremen besonders hoch<br />

sind.<br />

Die dominanten Kräfte der radikalen Rechten in den osteuropäischen<br />

Ländern unterscheiden sich deutlich von denen im Westen,<br />

und zwar sowohl organisatorisch als auch ideologisch. Zum einen<br />

ist die osteuropäische radikale Rechte organisatorisch, d. h. vor<br />

allem parteipolitisch, weniger entwickelt als ihr westliches Pendant.<br />

Deshalb sollten hier ganz besonders die Bewegungen und<br />

Milieus mitberücksichtigt werden (Minkenberg 2006, S. 14ff ).<br />

Demgegenüber lässt sich die Militanz und Gewaltbereitschaft hier<br />

nur schwer einschätzen, zumal das Erfassungsinstrumentarium<br />

für z. B. rassistisch motivierte Gewalt (I Abb. 4 I) noch sehr unterschiedlich<br />

ausgebildet ist, wie die in Wien ansässige und von der<br />

Europäischen Kommission eingesetzte Behörde, die »Europäische<br />

Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit«<br />

(EUMC), in ihrem Jahresbericht 2006 berichtet.<br />

EU-Justizkommissar Franco Frattini nannte bereits im Februar<br />

2007 (SZ, 21. 2. 2007) dazu neueste Zahlen: So haben im Jahre<br />

2006 fremdenfeindliche Vorfälle zwischen 25 und 40%, in einem<br />

Fall sogar um 70% zugenommen. Namentlich wurden Frankreich,<br />

Italien, Belgien und die Niederlande genannt. Die EUMC wird<br />

auch aus diesem Grund neu strukturiert und personell und materiell<br />

besser ausgestattet: Sie firmiert in Zukunft unter dem<br />

Namen: »Europäische Grundrechteagentur«.<br />

Die politikwissenschaftliche Forschung trägt diesen neuen Erscheinungsformen,<br />

ihren Modernisierungsprozessen und der relativen<br />

Heterogenität des Rechtsextremismus mit dem »Konzept<br />

der sozialen Bewegung« (Klärner/Kohlstruck 2006, S. 31 ff ) Rechnung.<br />

Rechtsextremismus als soziale Bewegung zu konzeptualisieren,<br />

bedeutet ihre Kommunikations- und Aktionsnetze als ein<br />

»Ensemble von Gruppen und Organisationen« (Rucht, in: Grumke<br />

2002, S. 76) mit Familienähnlichkeit zu betrachten. Soziale Bewegungen<br />

erzeugen politischen und gesellschaftlichen Druck, sie<br />

praktizieren und mobilisieren Protest. Sie operieren mit bewussten<br />

Provokationen und mit allen Formen von demonstrativen<br />

Akten. Dies schließt nicht aus, dass Teile dieser sozialen Bewegung<br />

gewalttätige Auseinandersetzungen praktizieren bzw. sie<br />

vorbereiten. Die parlamentarischen Vertreter enthalten sich weitgehend<br />

solcher Aktivitäten, wenngleich verbale Attacken der ITS-<br />

Fraktion (I M2I, I M3I) die liberale Öffentlichkeit in der EU stark<br />

beunruhigt (vgl. Horaczek: »Zigeuner liquidieren«, in: ›Die Zeit‹<br />

online, Nr. 50, 2006).<br />

»Blood and Honour« in Großbritannien, Ungarn<br />

und anderswo<br />

Großbritannien besitzt zwar keine bedeutenden Altnazis, muss<br />

aber als Ausgangspunkt der heute vorherrschenden rechtsradikalen<br />

Strukturen bezeichnet werden. Unterstützt von der starken<br />

Hooligan- und Skinheadszene entstand Anfang der neunziger<br />

Jahre hier die »Blood and Honour«-Bewegung, die sich um die<br />

rassistische Band »Skrewdriver« organisierte. Neuerdings unterstützt<br />

diese Bewegung die Anti-Euro-Kampagne der rechtsextremen<br />

»British National Party« und versucht, die Abstiegsängste der<br />

englischen Mittelschicht zu nutzen, um massiv gegen Migranten<br />

zu mobilisieren. Noch gewalttätiger geht dabei »Combat 18«<br />

gegen die Einwanderer vor. Die Zahlen stehen im Übrigen für den<br />

1. und 8. Buchstaben im Alphabet: A. H., also »Kampfgruppe Adolf<br />

Hitler«. Türen von Migranten und gehassten Minderheiten werden<br />

mit Farbe markiert und nicht selten mit Brandsätzen angegriffen.<br />

Immer wieder werden auch die Fußballstadien Schauplatz<br />

solcher rassistisch motivierter Gewalttaten, auch wenn die britische<br />

Regierung die Sicherheitsmaßnahmen in den letzten Jahren<br />

drastisch verschärfte. Anhänger dieser Bewegungen finden sich<br />

aber auch in Dänemark (I Abb. 1 I), den Niederlanden, Italien, Un-<br />

Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in Europa<br />

Heft 53 · 2007

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